Lib & In
Alle Rechte vorbehalten
Archiv 1

Grimme Online Award 2011 an GuttenPlag Wiki - 

Fehler in zu Guttenbergs Doktorarbeit bereits im Sommer 2009 entdeckt

"GuttenPlag Wiki gewinnt Grimme Preis

Elf Internet-Angebote sind mit dem renommierten Grimme Online Award für publizistische Qualität im Netz ausgezeichnet worden - darunter die Internet-Plattform GuttenPlag Wiki. Sie förderte zahlreiche Plagiate in der Doktorarbeit des Ex-Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg/CSU zutage und erhielt dafür den Preis in der Kategorie 'Spezial'. Seit 2001 zeichnet das Grimme-Institut mit dem Grimme Online Award hochwertige Websites aus. Mit rund 2.100 Einreichungen wurde in diesem Jahr ein neuer Rekord erzielt."

(zitiert nach Bayerisches Fernsehen, Bayerntext, S. 161, 23. Juni 2011, 16.30 Uhr)

Immer wieder wird in den Medien und von Online-Aktivisten behauptet, GuttenPlag Wiki habe die Fehler in der Doktorarbeit von Herrn Karl-Theodor zu Guttenberg aufgedeckt. Ein Forscherteam der TU Dortmund versuchte diese These zu vertreten. Die Verleihung des Grimme Online Awards an GuttenbergPlag Wiki erweckte diesen Eindruck. Das Allensbach Institut will in einer Umfrage das hohe Interesse von Netzaktivisten bei bestimmten politischen Themen erhoben haben, darunter in den Plagiatsaffären. Doch es ist falsch, dass GuttenbergPlag Wiki dazu beigetragen hat, die Mängel an der Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg ans Licht der Öffentlichkeit zu befördern. Richtig ist, dass Elke Göß bereits zwischen Mai und Juli 2009 die Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg bei der Universitätsbibliothek Bayreuth für ihre eigenen wissenschaftlichen Arbeiten entliehen hatte. Elke Göß hat sich bereits in ihrem Studium der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin seit dem Jahr 2000 intensiver mit dem damals gerade diskutierten Verfassungsentwurf der EU befaßt und neben diesem Studium beispielsweise mehrere Humboldt-Reden der vom Walter-Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht organisierten Reihe gehört sowie ein Seminar an der Freien Universität Berlin zum EU-Verfassungsvertrag besucht. Zudem nahm Elke Göß im Sommersemester 2009 an dem von Prof. Dr. Oliver Lepsius und Prof. Dr. Matthias Jestaedt veranstalteten Colloquium Intradisziplinäres Forum Franken (IFF) teil. Beim Lesen der Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg fielen ihr mehrere Unstimmigkeiten auf. Die Einleitung klang merkwürdig steril. Das lateinische Zitat, aus Vielem Eines werden zu lassen, liess auf eine Patchwork-Arbeit schließen. Am Ende der Einleitung fehlte ihr der Verweis auf die vielen durchwachten Nächte beim Anfertigen der Doktorarbeit, während im Nebenzimmer die kleinen Kinder schrien. Als Pfarrerin außer Dienst, die während ihrer Dienstzeit in der oberfränkischen Gemeinde Stammbach Herrn Karl-Theodor zu Guttenberg und dessen Vater Enoch kurz begegnet war, weil die Gemeindegrenzen Stammbachs an den Besitz derer zu Guttenbergs heranreichten, interessierte sie sich besonders für das Kapitel mit dem Gottesbezug in der amerikanischen Verfassung. Sie fand dieses Kapitel merkwürdig steril und ohne Tiefendimension in Bezug auf den Gottesbegriff. Sie hatte den Eindruck, dass hier allgemeine Gedanken aus dem politischen Bereich eingeflossen waren und dass spezifisch religiöse Inhalte nicht vorkamen. Von dem Schlusskapitel, das üblicherweise die Essenz der ganzen Arbeit zusammenfassen sollte, erwartete sie sich besonders viel. Thematisch sollte es um einen Vergleich der US-amerikanischen Verfassung und des Europäischen Verfasssungsentwurfes gehen. Da sich Elke Göß während ihres Studiums der Sozialwissenschaften ausführlicher mit dem historischen Vergleich und dem Zivilisationsvergleich beschäftigt hatte, erwartete sie auch ein methodisches Kapitel zu der Frage, wie man zwei Verfassungstexte, deren Entstehungshintergründe mehr als 220 Jahre auseinander lagen, vergleichen könne. Leider kam diese historisch und politikwissenschaftlich relevante Frage in der juristischen Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg gar nicht vor. Da Elke Göß über eine journalistische Ausbildung verfügt, fielen ihr die Stilwechsel in der Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg auf. Unübersehbar war deshalb auch, dass nicht gekennzeichnet war, woher die Gedanken stammten, auf die die Stilbrüche hinwiesen. Es mußten somit Fußnoten fehlen. Zudem bemerkte sie die passagenweise sehr einfach gehaltene Sprache, die der elaborierten Ausdrucksweise von Herrn Karl-Theodor zu Guttenberg so gar nicht glich, und die für jemand, der einen wissenschaftlichen Werdegang abgeschlossen hat, eher untypisch ist. Da Elke Göß an zahlreichen Colloquien in der evangelischen Theologie, in der Religionswissenschaft, in der Soziologie, in der Politikwissenschaft, in der Geschichtswissenschaft und in der Rechtswissenschaft teilgenommen hatte, in denen häufig auch Promotionen vorgestellt worden waren, hatte sie erhebliche Zweifel, ob die Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg von den Korrektoren zu Recht mit "summa cum laude" bewertet worden war. Sie äußerte diese Zweifel anhand der genannten Beispiele in einer Sitzung des IFF im Sommersemester 2009 im Beisein der beiden Professoren und im Beisein von ca. zwanzig teilnehmenden Juristen und Juristinnen. Sie sagte auch, wenn man das Buch "Regime-Kollisionen", das Herr Fischer-Lescano zusammen mit seinem Doktorvater, Herrn Gunther Teubner, veröffentlicht hat, mit der Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg vergleiche, dann würde man erkennen, dass Herr Fischer-Lescano wesentlich präziser arbeite und argumentiere. Zudem sprach sie im Wintersemester 2009/2010 einen weiteren Professor der Universität Bayreuth in einem Seminar im Beisein von ca. zehn Studierenden darauf an, welche Möglichkeiten es gäbe, die Bewertung einer Doktorarbeit prüfen zu lassen, ohne den Promovierten und die Prüfer bloß zu stellen. Sie bekam die Antwort, dass es Möglichkeiten gäbe, ihr wurde aber nicht gesagt, welche dies wären.

Als im Februar 2011 die öffentliche Diskussion über die Mängel in der Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg medial gestartet wurde, nahm Elke Göß Kontakt zu mehreren, ihr bekannten Professoren aus der Politikwissenschaft, der Soziologie, der evangelischen Theologie und der Rechtswissenschaft auf und teilte mit, dass sie die Fehler bereits im Sommer 2009 entdeckt hatte. Zudem kontaktierte sie den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, Herrn Winfried Scharnagel, den Bayernkurier, Herrn Sigmar Gabriel und die SPD-Bundestagsfraktion, Herrn Jürgen Trittin und die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die ARD-Nachrichtenredaktion, die ZDF-Nachrichtenredaktion, Focus Online, das Forscherteam der TU Dortmund und den zuständigen geschäftsführenden Direktor, die Nominierungskommission und die Jury des Grimme Online Awards 2011, das Allensbach-Institut sowie Herrn Karl-Theodor zu Guttenberg. Dennoch wird immer wieder der falsche Eindruck erweckt, Netzaktivisten, wie sie sich in GuttenPlag Wiki zu Wort gemeldet haben, hätten die Mängel an der Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg aufgedeckt. Dies ist eine strafrechtlich belangbare Falschaussage. Zudem wird damit Wissenschaftsgeschichte gefälscht, denn nicht die sich neu entwickelnden Online-Foren haben detektivisch die Mängel entdeckt, sondern sie fielen Elke Göß durch eine ganz "traditionelle" Lektüre auf, wie sie in der liberalen Tradition immer noch üblich ist. Dies zu beachten, ist wichtig, denn sonst tun Netzaktivisten nichts anderes als das, was sie Herrn zu Guttenberg vorwerfen: Sie stehlen geistiges Eigentum.

update: 23. Juni 2011

 

Die verkaufte Braut und der älteste österreichische Kaisersohn - Raubritter und Hochadel in den Medien und in der Demokratie

Der Adel zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist durch Widersprüche und Gegensätze gekennzeichnet. Zu dieser Auffassung könnte man gelangen, wenn man Freude und Leid der uns durch die Medien vermittelten Adelshäuser sieht.
Vor einer Woche, am 2. Juli 2011, ging das Leben eines Playboys nach rund dreißig Jahren zu Ende. Dies ließ sich der mit nahezu allen Machtbefugnissen ausgestattete Herrscher eines  zwei Kilometer großen Staates, der kleiner ist als der Englische Garten in München, dreimal soviel kosten wie die Hochzeit des englischen Thronfolgers. Gerne läßt sich der Fürst eines Mittelmeer-Anrainerstaates von den großen Monarchien anregen. Die Idee, seine Freundin, eine südafrikanische Schwimmerin, zu heiraten, sei ihm gekommen, als er die Hochzeit von Prinzessin Victoria von Schweden und deren langjährigen Freund Daniel im Fernsehen gesehen habe. Einziger Unterschied, das wird leicht übersehen, ist, bitte schön, dass Victoria nicht zahlreiche Eskapaden hinter sich hat in den sieben Jahren, in denen sie für die Beziehung zu ihrem ehemaligen Fitness-Trainer kämpfte, und keine zwei außerehelichen Kinder zeugte. Daniel hat sich in dieser Zeit vom Fitness-Trainer zu einem Unternehmer weiter entwickelt. Zudem verfügt Daniel über eine abgeschlossene Schulausbildung mit Abitur. Charlene hat das Abitur zugunsten ihrer Schwimmkarriere sausen lassen. Daniel spricht schwedisch perfekt, denn es ist seine Muttersprache. Charlene wohnt zwar seit 2004 in Monaco, kann aber laut Medienberichten zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht so gut Französisch, als dass man davon ausgehen könnte, dass sie den Worten des monegassischen Erzbischofs Bernard Barsi bei der Trauzeremonie gänzlich folgen hätte können. Statt sich im Jetset zu bewegen, absolvierte Victoria in den Jahren der Ehevorbereitung mehrere Praktika bei internationalen Organisationen. Die schwedische Adelshochzeit war sicher eine Traumhochzeit und von tiefen, inneren Gefühlen der Zuneigung, Liebe und Treue getragen.
Sehr romantisch war der Heiratsantrag von Prinz William an Kate Middleton im kenianischen Busch, wenig entfernt von der Stelle, an der seine Großmutter Elisabeth Königin von Großbritannien wurde. Das hat Stil und ist nicht zu vergleichen mit dem Telefonat, das Fürst Albert II. mit seinem zukünftigen Schwiegervater in Südafrika führte, als dieser kurz vor einem Footballspiel meinte, er solle seine Tochter zur Frau nehmen und weiter habe er keine Zeit, der Fürst solle nun aus der Leitung gehen. All dies läßt sich schwerlich kompensieren damit, dass man rund 43 Millionen Euro für zwei Tage ausgibt, in denen man noch dazu alle Hochzeitsfeierlichkeiten ausschließlich im eigenen Hause zelebriert. Hatte sich bei der Hochzeit seines Vaters Rainier und seiner Mutter Grace der europäische Hochadel noch in Zurückhaltung geübt und war zu Hause geblieben, so erschienen diesmal die Königshäuser zahlreicher. Doch bereits 1953 hatte Fürst Rainier das Brautkleid durch Sponsoring finanziert. Nun soll der Großteil der gesamten Hochzeitsfeierlichkeiten seines Sohnes mittels Sponsorings bezahlt worden sein, vermeldete Karen Webb im ZDF.
Immer wieder wurde in der Medienberichterstattung der krasse Widerspruch von proklamiertem PR-Programm und tatsächlichen Fakten thematisiert. Der Fürst von Monaco habe den Umweltschutz in seinem Land nachhaltig gefördert. Tatsächlich ankern die mit Diesel betriebenen Luxusjachten wie früher vor dem Hafen Monte Carlos. Will man von Turin nach Nizza, muss man zwangsläufig wie noch vor dreißig Jahren durch Monaco durch. Der französische Staat hat es bislang versäumt, eine Umgehungsstraße um das Fürstentum zu bauen, obwohl es keinerlei bauliche Hinderungsgründe gibt. Wie vor dreißig Jahren braucht man für eine Strecke, die noch nicht einmal so lang ist wie eine Durchquerung des Englischen Garten in München mehr als zwei Stunden, denn in Monaco gibt es immer Staus. Ein Vergleich zwischen dem Englischen Garten und Monaco verbietet sich in dieser Hinsicht allerdings, denn es ist nicht erlaubt, den Englischen Garten mit dem Privatwagen zu befahren.
Monaco habe sich den internationalen Finanzkriterien angeschlossen, hieß es anläßlich der Hochzeit von Fürst Albert II. und Charlene Wittstock. Verschwiegen wird dabei, dass sich die monegassischen Banken heute wie vor dreißig Jahren weigern, Gelder aus Adelsfamilien, die bereits vor Beginn des Hitler Regimes nach Monaco in Sicherheit gebracht wurden, den legitimen Nachkommen wieder auszuhändigen. Diese und andere Widersprüche nahm die in Großbritannien erscheinende „The Sunday Times“ einen Tag nach der Hochzeit auf unter der Titelüberschrift „The Full Filty Monte“ und es stellt sich somit die Frage, mit welchen Geldern die teuer veranschlagte Eheschließung wirklich gezahlt wurde. Familien, die ihr Erbe einfordern könnten, werden aus dem kurvenreichen Kleinstaat verwiesen. Russische Oligarchen sind dem Fürstenpaar nach Medienangaben willkommen.
Die pompös inszenierte Hochzeit wurde dadurch erschüttert, dass kurz vor dem Eheschließungstermin Gerüchte auftraten, Charlene habe aus dem Fürstentum „fliehen“ wollen, weil ein drittes uneheliches Kind aufgetaucht sei. Wie stabil eine Ehe ist, zeigt sich manchmal nach kurzer Zeit, manchmal erst nach Jahren und schon manchen hat kurz vor dem Eheschließungstermin die Panik gepackt. Kirchenrechtlich ist es so, dass eine nach katholischem Ritus geschlossene Ehe aus mehreren Gründen annulliert werden kann. Einer davon ist, dass einer der Ehepartner während der Verlobungszeit ein Verhältnis hatte. Wenn daraus ein Kind hervorgegangen ist, ist dies ein Beweis mehr. Ein anderer Grund ist, wenn beispielsweise einer der Ehepartner bei der Eheschließung betrunken war oder wenn er der Sprache, in der die Trauformel gesprochen wird, nicht folgen kann. Ein dritter Grund ist, wenn der Zelebrant die Eheschließungsformel nicht vollständig gesprochen hat. Es soll ja katholische Geistliche geben, die Vorbehalte gegen eine Ehe haben und die, um sich selbst zu versichern, die Eheformel absichtlich nicht vollständig zitieren. Auch die Bemerkung, die Braut sei kurz vor der Eheschließung zum katholischen Bekenntnis „übergelaufen“, erfreut sicherlich nicht das Herz eines katholischen Würdenträgers. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass sich alle drei Seiten den Rückweg der Annullierung einer Ehe bereits bei der Eheschließung offen gehalten haben, der Bräutigam, die Braut und der die Eheschließung zelebrierende Priester.
Solche Bedenken braucht man bei einer nach dem anglikanischen Ritus geschlossenen Adelshochzeit seit Heinrich VIII. nicht zu hegen. Auch hat man bei der Hochzeit des Sohns des britischen Kronprinzen mit seiner langjährigen Freundin Kate, die am 29. April 2011 stattfand, für nur ein Drittel des Hochzeitsbudgets mehr Glanz und Gloria zu sehen bekommen. Das Brautpaar hat zudem nicht der Zeremonie durch gegenseitiges Geplaudere seine Aufmerksamkeit entzogen, wie dies Fürst Albert II. und Charlene während der Eucharestievorbereitung taten. Festlich und würdig ging es zu in der Westminster Abbey, ohne zuviel Prunk, ohne Streiterei, ohne Heuchelei und ohne Ausflüchte. Sogar die Queen, die so schnell keine emotionale Regung zeigt, war ergriffen und sagte beim Wiederbetreten ihres Buckingham Palace, dass ihr die Zeremonie gefallen habe. William und Kate folgten der Eheschließung mit dem gebührenden Respekt. Im Fernsehen war kurz vorher ein Interview gesendet worden, in dem der Erzbischof von Canterbury Rowan Douglas Williams bekräftigt hatte, dass sich die Brautleute des Ernstes und der Tragweite ihres Eheversprechens bewußt seien. 
Kann man eine in der Statistik übliche Exponentialfunktion (1) erstellen: Je teuerer eine adelige Hochzeit, desto mehr musste investiert werden, um Mängel in der Liebe zu überkleistern? Oder müsste man eher von einer „funktionalen Relation“ (2) ausgehen: Raubritter bleibt Raubritter und Hochadel bleibt Hochadel? Dafür gibt es nun ein berühmtes Beispiel zu Beginn des 21. Jahrhunderts, denn das Fürstenhaus der Grimaldis erwuchs aus einer Horde von Piraten, die im 13. Jahrhundert unter der Vorspiegelung, einer sei ein Mönch, das auf dem Felsen von Monaco ansässige Herrschaftshaus eroberten. Skandalfrei verliefen dagegen im Hochadel die Hochzeiten von Victoria und Daniel und von William und Kate. Statistische Berechnungen müssen schon an der kleinen Zahl des zur Verfügung stehenden Datenmaterials scheitern.
Der Adel ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts stark dezimiert. In Deutschland ist er seit 1918 als eigener Stand abgeschafft. Derzeit häufen sich die Fernsehsendungen, in denen Adelsfamilien gezeigt werden, die ihre Jahrhunderte alten Besitzungen verkaufen müssen oder zumindest teilweise der öffentlichen Besichtigung preisgeben müssen. Wer sich auf Jahrhunderte lang erträgliche, traditionelle Wirtschaftsformen beschränkt hatte, wie beispielsweise die Land- oder die Forstwirtschaft, hat erhebliche finanzielle Probleme. Ein Adelshaus in Hessen hatte vor 50 Jahren noch über 200 Bedienstete in der Forstwirtschaft, heute sind es noch 25 Angestellte mit abnehmender Tendenz. Nicht alle hatten das Glück, bereits im Rokoko mit der Bleistift-Fabrikation begonnen zu haben wie das in Fürth ansässige Haus Faber Castell, das gestern sein 250-jähriges Bestehen feierte. Der Adel war einer der größten Arbeitgeber über Jahrhunderte. Heute ziehen es Frauen vor, statt in einer Schloss- oder Burgküche zu kochen oder in einem herrschaftlichen Anwesen den Haushalt zu versorgen, an einer Supermarktkasse zu stehen und eintönig stundenlang Lebensmittel über einen nicht gerade gesundheitsverträglichen Scanner zu ziehen und Münzen und Scheine mit den Kunden auszutauschen. Männer fahren heute lieber LKWs und Busse, statt wie früher Pferdefuhrwerke in frischer Luft und in freier Natur. Außer dass die Arbeiten heute meist weniger körperlich anstrengend sind, sind nicht alle Vorteile der computerisierten Arbeitswelt so eindeutig erkennbar. Der Wechsel in der Arbeitswelt wird zumeist mit Freiheit und Selbstverwirklichung überein gesetzt. Lebenslange Beschäftigungsverhältnisse in stabilen sozialen Beziehungsfeldern kommen kaum mehr vor. Die Kritik an den adeligen Herrschern ist einem von Kindesbeinen an vertraut. Dafür läßt man sich nun gerne von internationalen Handelsriesen und Großkonzernen ausbeuten, die die Handelswaren zunehmend in Monopolgesellschaften regulieren und die die Handelswege mindestens ebenso stark bestimmen und begrenzen, wie es im Mittelalter der Adel tat. Wohin dabei heute das Geld verschwindet, fragt niemand.
Dem Adel wird somit in herrschaftskritischer Absicht eine große Skepsis entgegen gebracht. Monarchie, Aristokratie, Oligarchie und Demokratie vertragen sich nicht gleichzeitig, Mischformen wie die konstitutionellen Monarchien können ihre Plausibilität fast nur noch erhalten, weil sie als Werbefaktoren für Nationen, also als PR-Faktoren gesehen werden. Doch bereits Polybios (4) im zweiten Jahrhundert vor Christus, jawohl, vor rund 2130 Jahren, erkannte, dass eine Demokratie gefährdet ist, wenn sie zu einer Herrschaft der Massen wird. Der Grieche Polybios formulierte dies unschön als eine Herrschaft des Pöbels (Ochlokratie) (5). In einem Verfassungskreislauf beschreibt der griechische Geschichtsschreiber, der in römische Gefangenschaft geraten war, drei gute Verfassungen, zu denen er die Monarchie, die Aristokratie und die Demokratie zählt. Durch ungesetzliches Handeln, durch das Ausnutzen des eigenen Vorteils, durch übermäßiges Machtstreben, durch Korruption und durch persönliche Schwächen wie Neid, Habsucht und Eitelkeit kann die Monarchie zur Tyrannis entarten, die Aristokratie zur Oligarchie werden und die Demokratie zur Ochlokratie (6) Im Idealfall ergibt sich ein Kreislauf: Handelt ein Monarch zu egozentrisch, verfällt seine Herrschaftsweise in die einer Tyrannis. Dann sieht sich der Adel aufgerufen, die Macht zu übernehmen und die Aristokratie entsteht. Kommt es innerhalb des Adels zu Zusammenschlüssen und Konglomeraten, entsteht eine Oligarchie. Diese versucht das Volk dadurch aufzusprengen, dass es sich selbst als Herrscher ausruft. Da sich das Volk meist ebenfalls an seinem eigenen Vorteil orientiert und da der Mensch fehlbar, Eigennutz orientiert bis egozentrisch orientiert handelt, bekommen die niederen Wünsche und Verhaltensweisen einen größeren Freiraum. Die individuelle Orientierung an den klassischen sozialen Werten nimmt beständig ab. Die Volksherrschaft oder Demokratie wird zu einer Herrschaft derjenigen, die sich gerne in die soziale Hängematte begeben, zu einer Herrschaft derjenigen, die meinen, sie seien ewig zu kurz gekommen, zu einer Herrschaft derjenigen, denen eine schnelle Triebbefriedigung wichtiger ist wie ein asketisches Sammeln und Ansparen. Nur durch einen Glücksfall dreht sich der Kreislauf wieder zum Positiven, wenn es einen Monarchen gibt, der bereit ist, Macht, Würde und Werte wieder glaubwürdig zu vertreten, ein vorbildliches Beispiel an Pflichterfüllung und Wertevermittlung zu sein und der das Volk aus seinen verwickelten Fallstricken zu befreien bereit ist, indem er es von einem Teil seiner an sich gezogenen Machtausübungen herauslöst. Auch nach 2130 Jahren sind die Ausführungen des Polybios bis heute nachvollziehbar. (7) Ob sich die Geschichte tatsächlich in Kreisläufen entwickelt, ist sehr fraglich. Eine Zwangsläufigkeit in der politischen Entwicklung gibt es nicht. Doch wie Märchen und Sagen einen Wahrheitsgehalt enthalten, so zeigt auch die sogenannte „Anakyklosis-Theorie“ des Polybios - mit Max Weber gesprochen – idealtypisch die Vor- und die Nachteile von sechs Verfassungstypen. (8)
Polybios hat zeitübergreifend einen weiteren Hinweis gegeben, der über die Jahrhunderte und Jahrtausende durch andere Erklärungsmuster oft überlagert wurde. Polybios zentriert seine Analyse einer guten bzw. einer schlechten Verfassungsform auf die Frage der Werte. Nicht die Vermögensverhältnisse, nicht die wirtschaftlichen Gegebenheiten, Strukturen und Veränderungen, nicht die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen sich widerstrebenden politischen Ansichten stehen im Mittelpunkt seiner Analyse, sondern die Frage, welche Werte einer politischen Form zugrunde liegen, im Alltag praktiziert werden, in der Sozialisation weiter gegeben werden, im Streit verteidigt werden, im Rechtsbereich angewendet werden, gegen Widerstand durchgehalten werden und gegebenenfalls auch unter Einsatz des eigenen Lebens nicht aufgegeben werden.
Was kann man unter diesen Gesichtspunkten heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts vom Adel erwarten? Die mediale Überbelichtung erscheint in diesem Zusammenhang völlig kontraproduktiv. Die Medien können nur sekundär Interpretationsmuster und Erklärungsmuster unter einem gegebenen Verlauf als Kommentare darunter legen. Sie können Informationen verzerren, weil sie ihnen erst gar nicht vorliegen oder weil sie sie in dem vorgegebenen Medienformat gar nicht unterbringen. Dennoch haben die Medien einen übergroßen Anteil an der Informationsgenerierung und an der Interpretationsausformung. Kritisch könnte man anmerken, dass es eine umgekehrte Korrelation zu geben scheint: Gerade die historisch bis heute wichtigen Monarchien, die zumeist vom Hochadel geführt werden, üben sich in einer Mediendistanz und in einer Medienabstinenz. Die Ereignisse, wann Queen Elisabeth II. oder Schwedens König Carl XVI. Gustaf oder Spaniens König Juan Carlos vor die Kameras treten oder in den Printmedien zu sehen sind, sind äußerst selten und sehr präzise ausgewählt. Manche hochadelige Familien blieben sogar in den vergangenen fünfzig Jahren und länger skandalfrei.
Einer ihrer Vertreter wird in der kommenden Woche zu Grabe getragen. Am 4. Juli 2011 verstarb Otto von Habsburg im Alter von 98 Jahren. In diesen Stunden am 9. Juli 2011 beginnt das erste Requiem für ihn in Pöcking am Starnberger See, wo der älteste Sohn des letzten österreichischen Kaisers seit 1954 wohnte. 1912 geboren, erlebte Otto von Habsburg das österreichische Kaiserreich bis zu dessen Ende im Jahr 1918 und das ungarische Königreich bis 1946. In Schönbrunn bei Wien ist er aufgewachsen. Eine Retrospektive auf BR-alpha in diesen Tagen zeigte ihn, hoch betagt, auf einem kleinen Rundbogen stehend. Vor ihm war, so weit das Auge blicken konnte, eine breite, mit kleinen Splittsteinen bedeckte Schneisse und ganz im Hintergrund sah man Schloss Schönbrunn. Otto von Habsburg sagte: „Hier hat es angefangen“ und deutete in die Ferne auf das Schloss, „und hier hört es auf.“ Gemeint war die kleine Balustrade irgendwo im Park in weiter Ferne vom Schloss, wo er ganz allein stand. Wie viele Menschen muss er in seiner Kindheit im Schloss gesehen haben? Welche Gedanken, Ziele und Pläne wird er damals gehegt haben als kleiner Junge? Die Geschichte lehrte ihn, dass er dies alles verloren geben musste. In der Filmretrospektive sagte er: „Muss man da nicht dankbar sein?“ Vielleicht war er dankbar, weil er überlebt hatte und nicht getötet worden war wie die russische Zarenfamilie. Fünf Requien werden für Otto von Habsburg zelebriert, nach Pöcking in München, in Mariazell, in Wien und in Budapest. Sein Körper wird in der Kapuzinergruft in Wien am 16. Juli bestattet. Einen Tag später wird sein Herz in der Benediktinerabtei im ungarischen Pannonhalma zur letzten Ruhestätte geleitet. Vielleicht ist es ein Zufall der Geschichte, dass die Beisetzungen des Körpers und des Herzens von Otto von Habsburg am 16. und am 17. Juli 2011 stattfinden. In der Nacht zum 17. Juli 1918 wurde Zar Nikolaus II. und die gesamte russische Zarenfamilie der Romanow-Holstein-Gottorp in Jekaterinburg erschossen.
Vielleicht kann man, um zu der Ausgangsfrage zurück zu kehren, sagen, dass der niedere Adel auch aufgrund der Medienberichterstattung gerne mit den Widersprüchen des Lebens in Verbindung gebracht wird. Adel und Werte sind ein gern gesehenes Thema in den Medien. Die großen Gegensätze, die einem Menschen im Leben begegnen können, können eher das Leben des Hochadels prägen. Otto von Habsburg hat dies am eigenen Leib erfahren müssen. Er musste die Höhen des österreichischen Kaiserhauses in seinem Leben ebenso annehmen wie die Tiefen eines ganz normalen bayerischen Bürgers und EU-Parlamentariers. Otto von Habsburg hat seinen Platz in der Demokratie gefunden und seinen ganz eigenen Beitrag zur Ost-West-Vereinigung und zur Europäisierung geleistet. Als einer unter vielen Politikern hat er in der Demokratie doch Herausragendes geleistet, indem er sich dem Geist des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches in dem Sinne bis zu seinem Ende verpflichtet wusste, dass es eine friedliche Einigung Europas geben könne.
Die Herrschaft des Adels gehört sowohl in Deutschland wie in Österreich der Vergangenheit an. Die Frage, welche Werte wie gelebt und weitergegeben werden, bleibt stets aktuell und war schon vor 2130 Jahren die zentrale Frage, an der sich eine gute Verfassung messen lassen musste. Die Darstellung des Adels, zumeist des niederen Adels, in den Medien trägt hierzu nur bedingt bei und wirkt manchmal sogar kontraproduktiv. Die Einhaltung positiver Werte wie Pflichtbewusstsein, die Fähigkeit zu einem asketischen Lebensstil, soziales Engagement, ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, Tapferkeit und Mut sind wesentliche Tugenden, die auch die stabile Basis jeglicher Demokratie bilden und die traditioneller Weise über Jahrhunderte im Hochadel gelebt wurden.
 
(1) Vgl. Clauß Günter, Finze Falk-Rüdiger, Partzsch Lothar (1995): Statistik. Für Soziologe, Pädagogen, Psychologen und Mediziner, Band 1: Grundlagen, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage mit 190 Beispielrechnungen, Thun und Frankfurt/Main, S. 366
(2) Vgl. Clauß Günter, Finze Falk-Rüdiger, Partzsch Lothar (1995): Statistik. Für Soziologe, Pädagogen, Psychologen und Mediziner, Band 1: Grundlagen, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage mit 190 Beispielrechnungen, Thun und Frankfurt/Main, S. 357
(3) Vgl. Clauß Günter, Finze Falk-Rüdiger, Partzsch Lothar (1995): Statistik. Für Soziologe, Pädagogen, Psychologen und Mediziner, Band 1: Grundlagen, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage mit 190 Beispielrechnungen, Thun und Frankfurt/Main, S. 367
(4) Vgl. Polybios (1997): Historien. Auswahl, Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Karl Friedrich Eisen, Stuttgart
(5) Vgl. Polybios, Historien, S. 11
(6) Vgl. Polybios, Historien, S. 11
(7) Vgl. Polybios, Historien, S. 11
(8) Vgl. Göß Elke (1998): Verfassungstheorie bei Polybios und die Vorläufer bei Herodot, Platon und Aristoteles, in: dies. (2011): Wegmarkierungen in der Geschichte, Liberale Gesellschaftsanalyse, Band 3 (i.E.)

Elke Göß
update: 9. Juli 2011

Begünstigt eine egozentrierte Konsumraffgier und geistige Schnäppchen-Mentalität das Vergessen nationalsozialistischer Geschichte?

Zufällig steigen sie am gleichen Bahnhof aus. Fünf oder waren es sechs Jugendliche, die sich leise, geschmeidig und unauffällig nacheinander zum Ausgang bewegen. Sie rempeln niemand an, sie raunen sich nichts Unflätiges zu, sie beschallen mit ihrem Krawall nicht das ganze Abteil. Ich habe sie vor einigen Wochen schon einmal gesehen. Nichts Auffälliges an ihnen, außer, dass sie sehr nett zu sein scheinen. Doch dieses Mal fällt der Blick beim Dritten auf dessen Schuhe. Der Vierte geht vorbei und er trägt die gleiche Schuhfarbe. Der Fünfte passiert und wieder die gleiche Schuhfarbe. Hatten die ersten beiden auch die gleiche Schuhfarbe? Wieder einige Wochen später sitzt im Zug in der gleichen Richtung eine Gruppe von 16- bis 18-Jährigen. Sie sitzen schon eine Weile da und unterhalten sich. Erst jetzt fällt auf, dass sie Schuhe in der gleichen Farbe tragen.

Es dauert noch mindestens vier Stunden, bis der Trauerzug aus dem Stephansdom herauskommen wird und seinen Weg durch die Innenstadt nehmen wird. Wird er vielleicht direkt in die Kärntnerstraße einbiegen und dann über den Neuen Markt zur Kapuzinergruft gehen oder einen anderen Weg nehmen? In der Kärntnerstraße gibt es neben den obligatorischen Modefilialen einige Souvenirläden. Ganz neu in diesem Jahr sind die Postkarten mit „Sisi“, mit Kaiserin Elisabeth von Österreich. Fragt man einen der Souvenirverkäufer, wie „Sisi“ mit Otto von Habsburg verwandt ist, so weiss er keine Antwort. Auch zufällig vorbeigehende Passanten wissen keine Antwort. Doch „Sisi“, die schöne, unglückliche Kaiserin aus bayerischem Königshaus wird vermarktet. Eine „Sisi“-Ausstellung hier, Kaffeetassen mit ihrem Konterfei dort, „Sisi“-Pralinen und „Sisi“-Eis, alles gibt es zu kaufen. Wunderschön fühlt man sich in die K.-und K-Monarchie zurück versetzt. Menschen aus allen Ländern der Erde meinen den „Duft“ der alten Zeit zu schnuppern, wenn sie schnäppchenartig mit Fetzen der Geschichte bekannt gemacht werden, die so zurecht gestutzt wurden, dass sie dem konsumorientierten Weltbürger aus der in Zukunft sich zeigenden egalitär ausgerichteten Weltgemeinschaft genau ins Konzept passen. Medienförmig, marktförmig, konsumierbar, adaptierbar, (ganz wichtig, nicht zu vergessen) bezahlbar werden Mini-Inhalte, wenn denn überhaupt noch ein historischer Kern in all dem zu finden ist, an den Mann und an die Frau gebracht, die sich bisher noch nie mit der Frage beschäftigt haben, wer die Habsburger in ihrer bald 800-jährigen Geschichte waren und wie und warum das Kaiserreich in Österreich eine so stabile Dynastie hervorgebracht hat. Die Frage gleichwohl, warum das Kaiserreich gescheitert ist, würden die meisten mit dem Kurzschluss beantworten, weil es nicht demokratisch gewesen sei und weil der Adel ja eh seine Privilegien nur den Bürgerinnen und Bürgern weggenommen habe. Nur eines weiss keiner mehr. Der hier in wenigen Stunden zu Grabe getragen wird, ist der Enkel von „Sisi“. Erlebt hat er sie nicht mehr. Sie starb 14 Jahre, bevor er geboren wurde. Dafür kannte er seinen Großvater, Kaiser Franz Joseph I., noch, der von 1830 bis 1916 lebte. Als der Großvater vom selben Stephansdom aus zur selben Kapuzinergruft zu Grabe getragen wurde, war er gerade vier Jahre alt und durfte zwischen Mutter und Vater auf dem Trauerzug mitgehen. Nun ist er im hohen Alter von 98 Jahren gestorben. Rüstig war er bis in seine letzen Lebensjahre hinein. Man hätte ihn fragen können. Man hätte tatsächliche Geschichte erfahren können. Die Filme, die das Fernsehen anläßlich seines Todes zeigt, wurden vom Bayerischen Rundfunk gedreht. In Bayern hat er fast 50 Jahre seines Exils verbracht. Von den Österreicherinnen und Österreichern wurde er nach 1918 nicht mehr gelitten und vertrieben. Da war er sechs Jahre alt. Vier Jahre später starb sein Vater Karl I. im Exil auf Madeira mit nur 37 Jahren. Er war der letzte rechtmäßig eingesetzte Kaiser Österreichs. Die Kommunisten hatten längst in Russland die Macht übernommen. In Österreich begab sich ein arbeitsloser Anstreicher auf den Weg zur Macht. Nur mehr „privat“ wurden die Nachkommen der Kaiserfamilie in Österreich gelitten. Otto von Habsburg durfte sogar erst 1966 wieder seine Heimat betreten. Da lebte er schon zwölf Jahre in Bayern. Die Bayern waren es auch, die ihn als ihren Abgeordneten zwanzig Jahre lang ins Europäische Parlament entsandten. Mit einem Mandat der CSU konnte er sich für die friedliche europäische Einigung einsetzen, die ihm sehr am Herzen lag. Die Österreicherinnen und Österreicher ehrten nicht den ältesten Kaisersohn oder einen verdienten europäischen Politiker mit der Trauerfeier im Stephansdom und dem anschließenden Trauerzug. „Privat“ sei diese Trauerfeier, betont eine junge Polizistin, die gelangweilt mit vier anderen Kollegen den Eingang in die mit Gittern abgesperrte Zone bewachen muss. Wo genau der Trauerzug lang geht, weiss sie nicht. Sie ruft einen Kollegen, der sagt, er gehe im Graben entlang. Weiter wisse er nicht. Sie ruft einen weiteren Kollegen, der immerhin weiss, dass der Trauerzug über den Graben zum Kohlmarkt, über den Michaelerplatz auf dem Burgring durch die Hofburg, über den Opernring, an der Albertina vorbei zum Neuen Markt ziehen werde. Die fünf Polizisten stehen vier Stunden vorher höchstens dreißig Meter vom Stephansdom entfernt.

Fünfzehn Meter vom Portal des Stephansdomes entfernt finden sich hinter den Gittern Menschen ein, die auch einen Filmstar erwarten könnten. Sie sind bunt gekleidet, schäkern, reden, was das Zeug hält über alles, worüber man heutzutage auch nur ein Wort verlieren kann. Ein Österreicher mit fast sechzig Jahren ist darunter, kräftig gebaut, der schon beim Papstbesuch im September 2007 in Wien etwa die gleiche Position besetzte. Damals hob er erst so richtig an, als die Messe im Dom begann, die auf einer Leinwand nach außen übertragen wurde. Dieses Mal wird er sich genauso verhalten. Damals drängelte sich eine niederländische Frau nach vorne, mit der er heftigst parlierte. Dieses Mal wird es genauso ablaufen. Damals attackierte er diejenigen, die ihn baten, doch leiser zu sprechen oder gar nichts zu sagen während der kirchlichen Feier mit Beleidigungen, sie würden „spinnen“ und falls das nichts half mit Drohungen, ihnen die mitgebrachte Wasserflasche auf dem Kopf zu zertrümmern. Je nachdenklicher und besinnlicher die kirchliche Feier wird, desto mehr wird er stören. Gleichwohl gibt er vor, ein „Kaisertreuer“ zu sein wie er vorgab, ein Kirchenverehrer zu sein. Mit samtweicher Stimme haucht er, Otto wäre ein „guter Kaiser“ gewesen, den man heute so hätte nehmen können, wie er ist. Diese Frage stellt sich nun nicht mehr, denn Otto von Habsburg ist am 4. Juli 2011 gestorben. Deshalb findet die Trauerfeier statt. Auffälligerweise haben weder Reinhard Kardinal Marx beim Münchner Requiem noch Christoph Kardinal Schönborn beim Wiener Requiem die Worte gesprochen, die häufig bei Beerdigungen zitiert werden: „Wir danken Dir für alles, was Du uns durch den Verstorbenen/die Verstorbene geschenkt hast. Wir bitten Dich um Vergebung für alles, was wir an ihm/ihr versäumt haben“. Vielleicht wurde zuviel versäumt, als dass eine einzige Bitte  an Gott gerichtet werden könnte, er möge das Fehlen vergeben.

Nicht nur ein Zeitzeuge, ein ausdauernder und leidenschaftlicher Politiker wird zu Grabe getragen. Es wird ein Mensch zu seiner letzten Ruhestätte geleitet, der durch seine in der christlichen Vergebung verankere Menschlichkeit anrührte. Otto von Habsburg war eine wirklich bedeutende Persönlichkeit. Er kannte wirklich bedeutende Persönlichkeiten. Hat er je darüber gesprochen? Mit seiner Familie trauern europäische Adelshäuser, europäische Gelehrte, europäische Politikerinnen und Politiker. Mehr als tausend Trauergäste haben sich allein in Wien eingefunden. In München waren es eben so viele. Für eine private Trauerfeier sind dies reichlich viele. Offiziell hieß es, die Trauerfeier sei „privat mit militärischen Ehren“. Die Regierung der Republik Österreich sandte allerdings gleich drei große Kränze mit roten und weißen Blumen, die in der Kapuzinergruft unter den 39 Gebinden aufgestellt wurden. Die Ersten, die nach der Grablegung Otto von Habsburgs gedenken wollten, fanden sich bereits am Sonntagmorgen dort an seinem Sarg in der Gruft ein, um ihm auch nach seinem Tod noch einmal nahe sein zu können. Er liegt im gleichen Raum wie seine Frau Regina, seine Mutter Zita und sein Bruder Karl. Im Raum vorher liegen Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph I., seine Großeltern.

Noch gibt es am Morgen nach der Grablegung keine Postkarte mit der neu arrangierten Grablege der Habsburger. Die Vermarktung hat indes schon eingesetzt, denn ein Besuch in der Gruft kostet pro Person fünf Euro. Die Passanten und die Anwohner der Wiener Innenstadt sind am Tag nach dem Requiem noch wie benommen. Eine für den Nachmittag angesetzte Kunstvernissage, zu der die Sailergasse für den Durchgangsverkehr von der Polizei gesperrt wird, scheint so gar nicht zu passen und fast schon obszön die Totenruhe zu stören. Alle, die beim Requiem und beim anschließenden Trauerzug sowie bei dem Eintritt in die Kapuzinergruft dabei waren, sind noch erfüllt und überrascht von der überwältigenden Mehrheit derer, die Otto von Habsburg das letzte Geleit gegeben haben. Mehr als dreißig Minuten strömten die Trauergäste aus dem Stephansdom heraus, um sich dem Trauerzug anzuschließen. Vor dem Dom hatten über drei Stunden Kapellen, Trachtengruppen und Soldaten aus Bayern und aus Österreich in historischen Uniformen still und andächtig gewartet, um sich dann nach einer genau ausgedachten Choreographie in den Trauerzug einzureihen. Sogar einige in graue Wehrmachtsuniformen gekleidete Soldaten befanden sich darunter, die still schweigend Otto von Habsburg Tribut zollten, obwohl dieser ja zeitlebens als ausgesprochener Gegner des Nazi-Regimes galt. Das letzte Bild, das auf der auf dem Neuen Markt vor der Kapuzinergruft aufgestellten Video-Leinwand während der Grablegung zu sehen war, zeigte Otto von Habsburg und seine Frau Regina, wie sie von Papst Benedikt XVI. im Vatikan empfangen wurden.

Beim Anblick all der stundenlang in schweigender Andacht sich sammelnden Trauernden vor dem Dom und am Neuen Markt verdampft der Eindruck des lärmenden, gewaltbereiten österreichischen Störenfriedes im Schafspelz eines „Kaisertreuen“ im Nichts. Seine Drohgebärden, er werde sein Recht zu stören auch durch den Wurf seiner Wasserflasche demonstrieren, verpuffen in völliger Lächerlichkeit. Seine Arroganz eines niederen Angestellten, der ja wohl die „Oberen“ beurteilen und verurteilen dürfe, wie es ihm gerade in seinen ungebildeten, historisch phlegmatischen Kragen passe, zerschellt an der Ahnung vieler tausender, dass hier gerade eine historisch einmalige Chance ihr Ende gefunden hat und zu Grabe getragen wird. Plötzlich erscheint der historische Weg Österreichs in den vergangenen 92 Jahren überhaupt nicht mehr als der einzig gangbare Weg in der Geschichte. Die so oft behaupteten und so oft zelebrierten politischen Wege der Nach-Kaiserzeit kommen den im Trauerzug Wartenden wie winzig kleine, schmale Waldpfade vor und keineswegs wie die einzig richtigen Schneisen durch das Gestrüpp der Geschichte zwischen 1918 und 2011. Selten wird mehreren tausend Menschen die Relativität der Geschichte in wenigen Momenten so deutlich wie den im Trauerzug vereint Wartenden. Nicht die Frage, ob wir etwas versäumt haben, taucht auf. Es ist vielmehr die Gewißheit, dass wir etwas versäumt haben. Wir hätten ihn mehr fragen sollen. Wir hätten ihn mehr einbeziehen sollen. Wir hätten ihn mehr ehren sollen. Mehr noch, als der Gedanke, dass die Geschichte vielleicht auch anders verlaufen hätte können, setzt sich der Gedanke innerlich fest, dass die Geschichte ganz sicher anders verlaufen wäre, hätten wir nur die Chance wahrgenommen, über Alternativen nachzudenken. Wer sagt, dass eine Monarchie in Österreich so sehr viel schlechter gewesen wäre wie die Republik? In diesem Moment ist unter den Trauernden keiner dieser Meinung. Eine Chance ist vorbei gegangen. Wir haben eine Chance verpasst. Diese historische Erfahrung konnte einem Menschen nur an diesem 16. Juli 2011 zwischen 15 Uhr und 19 Uhr zwischen dem Stephansdom und der Kapuzinergruft beim Requiem und beim Trauerzug für Otto von Habsburg zuteil werden.

Freilich wurde diese Erfahrung nicht allen zuteil und viele wollten diese Erfahrung auch gar nicht auf sich einwirken lassen. Früher hielten wenigstens der Respekt vor dem Toten und der Respekt vor denjenigen, die um ihn trauern, Störenfriede davon ab, sich noch während der Zeremonie lautstark zu äußern. Heute haben sogar einige diese Pietät aufgegeben. Höchst zeitgeistig brachte auch der „Kurier am Sonntag. Unabhängige Tageszeitung für Österreich“ am 17. Juli 2011 einige Zeilen zu „Twitter“. Besonders wird Rubberinchen genannt, die schrieb: „Sind jetzt schon alle deppat geworden? Otto von Österreich? Wir sind eine Republik!!!!!!!!!!“ Wo findet Rubberinchen in der Bezeichnung „Otto von Österreich“ einen Adelstitel, der ihr republikanisches Gemüt stören könnte? Stattdessen beschimpft sie die Trauergemeinde mit mehreren hochadeligen und regierenden Häusern in toto, diese sei wesentlich weniger intelligent wie sie selbst. Solche Manieren und solche Geschichtskenntnis bedürfen keines weiteren Kommentars. Die Gefahr, dass die Welt heutzutage „nobel“ zugrunde geht, wie das Sprichwort suggeriert, ist sehr gering. Dass allerdings Häme, Rücksichtslosigkeit, Gewaltbereitschaft, Lächerlichmachen, infames Verhalten, konsumorientierte Raffgier gepaart mit historischer Schnäppchen-Mentalität oder sogar mit historischer Unbeschlagenheit zur Gefahr werden könnten, wurde in diesen historisch einmaligen Stunden, in denen Wien um Otto von Habsburg, den ältesten Sohn des letzten österreichischen Kaisers trauerte, besonders deutlich.

Vier Tage später kann man in den Medien lesen, die evangelische Kirchengemeinde in Wunsiedel hat in der Nacht zum 20. Juli 2011 das Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß aufgelöst. Im Einvernehmen mit der Familie wäre der Vertrag für die Grablege im Herbst ausgelaufen und auf Wunsch der Familie würden die Gebeine verbrannt und über dem Meer verstreut. Am Jahrestag des Attentates auf Adolf Hitler werden in diesem Jahr zum ersten Mal in der deutschen Geschichte Freiwillige ihren Eid als Soldaten bei der Bundeswehr im Berliner Bentler Block ablegen. Die bundesdeutsche Nachkriegsöffentlichkeit ist dabei, sich vom Militarismus des Nationalsozialismus und von der sich im Wehrdienst zeigenden Gewaltbereitschaft zu verabschieden. Doch nun sind es der „Mann“ und die „Frau“ aus dem Volke, die bisher vom Aufstieg noch nicht profitiert haben, die sich übervölkert fühlen, die sich schon immer den Größeren und Intelligenteren unterlegen gefühlt haben, die sich dazu aufgerufen fühlen, die Gewalt nun wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Volkes Stimme muss doch gehört werden. Hier paaren sich rudimentäre Reste der im Nationalsozialismus hochstilisierten „Volksseele“ allzu leicht, unbeabsichtigt, unvorhersehbar, ungewollt und dennoch nach historischem Vorbild mit basis-demokratischen Grünen und post-demokratischen Linken wie Neorechten. Gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte die sogenannte Frankfurter Schule mit Theodor Adorno und Max Horkheimer auf den Zusammenhang von wirtschaftlichem Massenkonsum und nationalsozialistischer Gesinnung aufmerksam gemacht. Die Verhinderung einer Wiederkehr nationalsozialistischen Gedankengutes durchzieht das Werk des berühmten Frankfurter Sozialphilosophen Jürgen Habermas. Alexander und Margarete Mitscherlich erläuterten die psychologischen Hintergründe nationalsozialistischen Gedankengutes. Die 1968er Generation hat den geistigen Muff, der sich noch zwanzig Jahre nach Kriegsende durchhalten konnte, aufmerksam gemacht und ist in einem „Marsch durch die Institutionen“ dagegen angegangen. In diesen Jahren werden die durch die 1968er Jahre geprägten Professoren in den Ruhestand verabschiedet. Jahrzehnte langes Abwehren und Bekämpfen nationalsozialistischen Gedankengutes erscheint langfristig erfolglos geblieben zu sein, wenn nun alte wie junge nationalsozialistische Gesinnungsgenossen wieder den gesellschaftlichen Alltag zu bestimmen versuchen.

Zwei Tage später wehen vor der Nürnberger Lorenzkirche Fahnen in den Regenbogenfarben mit den hebräischen Buchstaben für „Frieden“. Diese Fahnen werden ansonsten von Greenpeace-Aktivisten und Grünen-Anhängern verwendet. Daneben steht in großen Lettern „Keine Kosmetika vom Toten Meer“. Seit wann interessieren sich Greenpeace-Aktivisten für die Produktion von Kosmetika am Toten Meer? Tiere werden bei der Gewinnung von Badesalzen und medizinischen Produkten aus Salz vom Toten Meer doch gar nicht verwendet und damit auch nicht gefährdet. „Bitte, bitte, lesen Sie doch“ sagt schmeichelnd ein etwa 60-jähriger Mann und hält Passanten ein Flugblatt entgegen. Eine außergewöhnliche und völlig neue Aktion im Schatten der Türme der Lorenzkirche. Ganz am Rande hängt noch ein Plakat, auf dem steht: „Keine Produkte aus israelisch besetzten Gebieten Palästinas!“ und eine ältere Frau mit funkelnden Augen sitzt daneben. Nun ist alles klar. Es handelt sich bei dieser Aktion um eine anti-israelitische Demonstration, die sich mit den Regenbogen-Fahnen schmückt und die auch nicht davor zurückschreckt, das israelitische Wort für „Frieden“ zu missbrauchen, um zu behaupten, nicht der Staat Israel existiere legitimer Weise, sondern die Israeliten hätten das Land der Palästinenser annektiert. Dies ist eine absolute Verdrehung der Tatsachen, denn 1948 wurde der Staat Israel völkerrechtlich legitim gegründet und bekam das gesamte Land als Staatsgebiet zugewiesen. Völkerrechtlich wird es kaum möglich sein, die Einstaatenlösung zugunsten der Palästinenser, die Gebiete besetzt halten, zu kippen, auch wenn sich Politiker von US-Präsident Barack Obama bis Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür aussprechen, den Palästinensern eine eigene staatliche Autonomie auf dem Staatsgebiet Israels zukommen zu lassen. Völkerrechtlich wird es nicht legitimierbar sein, Israel zu einer Aufgabe von Teilen seiner staatlichen Autonomie zu zwingen. In der Geschichte der UNO wäre dies jedenfalls ein bisher noch nie gegangener Schritt, der die Existenz des gesamten Staates Israel gefährden könnte. Genau dies bezwecken einige sich pro-palästinensisch gebärdende Antisemiten. Mehr und mehr wird beim Betrachten des mit den regenbogenfarbenen Fahnen geschmückten Standes vor der Nürnberger Lorenzkirche deutlich, dass es sich dabei um eine anti-israelitische Demonstration handelt, die sich in den Schatten der Kirche begeben hat, an der der jetzige bayerische Landesbischof Dr. Johannes Friedrich Kreisdekan war, bevor er zum Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern gewählt wurde. Als ehemaliger Probst von Jerusalem hat sich Landesbischof Friedrich in den vergangenen Jahren besonders für die Anerkennung des jüdischen Erbes in der christlichen Tradition eingesetzt und bewirkt, dass ein Passus dazu in die Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern übernommen wurde.

Wiederum vier Tage später, am 26. Juli 2011, vermeldet der Bayerische Rundfunk, dass erstmals ein israelitisches Orchester in Bayreuth Werke Richard Wagners gespielt habe. Das Israel Chamber Orchester unter der Leitung von Roberto Paternostro sei unter der Schirmherrschaft von Katharina Wagner diesen historisch einmaligen Schritt gegangen. Für die nächtliche Rundschau wurden dann einige Konzertbesucher interviewt, die voll Elegie und in Emphase schwelgend betonten, welch historisch unwahrscheinlich gute Idee dieses Konzert gewesen sei. Leider hatte diese PR-„Ente“ zwei erhebliche Schönheitsfehler. Zum einen waren es Daniel Barenboim und sein Orchester „West-Östlicher Divan“, die genau vor zwei Jahren, jaja, so kurz kann das historische Gedächtnis in Bayreuth sein, erstmals als israelitisch-arabisches Orchester Werke Richard Wagners spielten. Damals hatte die Schirmherrschaft allerdings Eva Wagner-Pasquier übernommen. Der zweite Schönheitsfehler liegt in der doch erheblichen Zeitspanne seit dem Zweiten Weltkrieg, in der in Bayreuth antisemitisch offensichtlich die Welt stehen geblieben war. Nimmt man die Tatsachen, so wie sie sind, dann hat sich im Jahr 2009, also 64 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, erstmals ein jüdisch-arabisches Orchester unter großen Sicherheitsanstrengungen Bayreuther Boden betreten trauen, um die Musik Richard Wagners aufzuführen. Offensichtlich war dies aber den Presseverantwortlichen der Stadt Bayreuth oder des Festspielhauses oder beiden zu wenig Aufmerksamkeit gewesen und sie inszenierten dieses „erste Ereignis“ einfach gleich zwei Jahre später noch einmal. Wann die Musik Richard Wagners von einem jüdischen Orchester erstmals in Deutschland gespielt wurde, hat noch niemand nachgesehen und die Frage, warum ein jüdisches Orchester ausgerechnet die Musik Richard Wagners spielen muss, kann eh niemand beantworten. Die Tatsache allerdings, dass die Verantwortlichen der Stadt Bayreuth und des Festspielhauses es als eine offensichtlich dringende Notwendigkeit ansehen, dass die mediale Weltöffentlichkeit darüber gleich zweimal informiert werden muss, dass ein jüdisches Orchester ungehindert und darüber hinaus noch mit reichlich Applaus bedacht die Musik Richard Wagners gleich in zwei Jahren erstmals und noch dazu 64 bzw. 66 Jahre nach Kriegsende in Bayreuth gespielt hat, spricht völlig für sich und bedarf keines weiteren Kommentars.

Auch in Bayern sind nun die Sommerferien ausgebrochen. Noch immer wandeln die Jugendlichen mit den cognacfarbenen Schuhen durch die Züge der Deutschen Bahn zwischen Nürnberg und Bayreuth. Zu ihnen haben sich einige mit cognacfarbenen Handtaschen gesellt. 

Elke Göß

update: 2. August 2011

Der linke Osten entdeckt den preußischen Adel und dessen Stärken der Lokalität, der Familiarität und der hohen Produktvermarktungschancen

Nach dem britischen Königshaus und dem monegassischen Fürstenhaus zelebrierte nun der preußische Adel am 27. August 2011 die Hochzeit von Georg Friedrich aus dem Hause Preußen mit Sophie aus dem Hause Isenburg. Die lokale Bedeutung dieses Ereignisses wurde schon dadurch deutlich, dass nur der hessische Rundfunk in Kooperation mit dem RBB die kirchliche Trauung drei Stunden lang übertrug. Standesamtlich hatten sich Georg Friedrich aus dem Hause Preußen und Sophie aus dem Hause Isenburg bereits zwei Tage vorher das Ja-Wort gegeben. Insidern wird eine kleine Präzisierung in dieser Formulierung auffallen. Die beiden Fernsehsender, in deren Sendegebiet die beiden Adeligen beheimatet sind, haben die Hochzeit von „Georg Friedrich Prinz von Preußen“ und von „Sophie Prinzessin von Isenburg“ übertragen. Vielleicht war dies der Grund, weshalb der gesamt europäische Hochadel bei der Hochzeit fehlte? Dass niemand aus dem europäischen Hochadel angereist war, bemerkte der äußerst versierte Adelsexperte Rolf Seelmann-Eggebert nach der Trauung. Wäre nur ein Mitglied des europäischen Hochadels in der Potsdamer Friedenskirche anwesend gewesen, wäre dies dem langjährigen Adelskorrespondenten sicherlich nicht entgangen. Den Hinweis, dass sich nur die Sprösslinge regierender Adelshäuser oder zumindest der Adelshäuser, deren Vorfahre nicht abgedankt hat, „Prinz“ und „Prinzessin“ nennen dürfen, vermisste man bei der Live-Übertragung völlig. Die historische Tatsache, dass Kaiser Wilhelm II. in seinem niederländischen Exil am 28. November 1918 sowohl als deutscher Kaiser wie auch als preußischer König abgedankt hatte, ist unstrittig Teil des geistigen Allgemeinwissens im historischen Kollektivgedächtnis. Diese doppelte Abdankung bekräftigte auch sein Sohn Wilhelm nochmals mit seinem eigenen Verzicht. Auch aus dem „Ratgeber für Anschriften und Anreden“ des Bundesministeriums des Inneren vom Januar 2010 läßt sich nicht der Gebrauch des Titels „Prinz“ herleiten.(1) Eine kurze Nachfrage des Bundesministeriums des Innern bei regierenden Häusern, wie beispielsweise dem schwedischen Königshaus, dem spanischen Königshaus oder dem englischen Königshaus wäre bei der Präzisierung dieser Handreichung nützlich und sollte bei einer Neuauflage eingearbeitet werden. Das im Hessischen beheimatete Haus Isenburg gehörte freilich nie zu den regierenden Häusern. An dieser Tatsache ändert auch das über 150 Jahre alte Diadem aus dem Hause Isenburg auf dem Kopf der Braut nichts. Auch die Geheimniskrämerei um das von Wolfgang Joop angefertigte Brautkleid ließ aus einer adeligen Familienfeier keinen hoheitlichen Staatsakt werden.

Nur kleine Pannen trübten die hingebungsvolle Feier. Um die Schleppe richtig zu ordnen, nachdem die Braut von ihrem Vater zum Altar geführt worden war, hätte es einiger Brautjungfern bedurft. So musste der Brautvater Hand anlegen, um die meterlange Schleppe so zu drapieren, dass sich die Braut setzen konnte. Bei der Traufeier wurde der Lieblingssong des Bräutigams der Gruppe MoD erwähnt, das Lied „Ich flieg mit Dir zum Himmel! Bau Dir ein Schloss aus Sand!“. Nun denn, jeder Bibelkundige hätte sich die Passage aus dem Matthäus-Evangelium aus dem siebten Kapitel gewünscht: „Jeder nun, der diese meine Worte hört und sie tut, ist einem klugen Manne zu vergleichen, der sein Haus auf den Felsen baute.“ (Matthäus 7, 24) Und einige Verse später: „Und jeder, der diese meine Worte hört und sie nicht tut, ist einem törichten Manne zu vergleichen, der sein Haus auf den Sand baute.“ (Matthäus 7, 27). Wenn diese Bibelsätze schon den Brautleuten nicht geläufig sind, so hätte sie doch Pfarrer Michael Wohlrab von der Kaiserin-Auguste-Stiftung in Jerusalem oder Pater Gregor Ulrich Graf Henckel von Donnersmarck OCist darauf aufmerksam machen können. Während der Trauung war ein jüdisches Lied zu hören. War das jüdische Totengebet „Al Molah Rachamim“, das der ehemalige Oberrhabbiner von München und Oberbayern Steven Langnas auf dem Odeonsplatz nach dem Requiem für Otto von Habsburg sang, stimmig, so mutete die jüdische Referenz bei einer Trauung von Georg Friedrich aus dem Hause Preußen und Sophie aus dem Hause Isenburg an einem Samstag verdächtig an. Nach jüdischem Verständnis ist es nicht angesagt, an einem Samstag, am Schabbat, zu heiraten.(2) Dies scheint dem in Jerusalem lebenden Pfarrer Michael Wohlrab entgangen zu sein, denn auch hierauf hätte er das Brautpaar aufmerksam machen sollen. Beiden Geistlichen scheint es auch nicht geläufig zu sein, dass die Trauformel nach evangelischem Verständnis von beiden Brautleuten mit dem gleichen Wortlaut gesprochen werden muss. Bei dieser Hochzeit versprachen sich Bräutigam und Braut unterschiedliche Treueschwüre. Dies ist eigentlich nicht zulässig bei einer evangelischen Trauung und somit auch nicht bei einer ökumenischen Trauung unter evangelischem Vorsitz. So muss die Trauung des protestantischen Georg Friedrich mit der katholischen Sophie verstanden werden. Auch wenn Pater Gregor Ulrich Graf Henckel von Donnersmarck OCist in seiner Ansprache die Bezeichnung „Sakrament“ für diese Eheschließung verwendete und die Braut dazu huldvoll nickte, ist diese Eheschließung kein „Sakrament“, denn die Ehe wurde nicht unter der Federführung des katholischen Geistlichen geschlossen, sondern der evangelische Geistliche leitete das gegenseitige Trauversprechen ein. In einer katholischen Hochzeit wird zudem meist die Eucharestie gefeiert. Auf die rechtliche Gültigkeit dieser Ehe haben die unterschiedlichen Treueversprechen freilich keinen Einfluss, denn die Ehe wurde zwei Tage vorher rechtlich bindend vor dem Potsdamer Standesamt geschlossen. Nach katholischem Verständnis ist eine Ehe, die unter der Leitung eines evangelischen Pfarrers geschlossen wurde, eh nicht nach den Riten der katholischen Kirche vollzogen und somit kanonisch nicht gültig. Daran ändert auch ein Grußwort des Papstes nichts, das während der Zeremonie verlesen wurde. Dieses Grußwort muss von einem Mitarbeitenden des Staatssekretariates verfasst worden sein und ist nie über den Schreibtisch von Papst Benedikt XVI. oder dessen Privatsekretär Prälat Dr. Georg Gänswein gegangen, denn in der Anrede hieß es „Königliche Hoheit“. Diese Anrede für das Haus Preußen ist in Deutschland seit dem 23. Juni 1920 aufgehoben(3) und dieser Fauxpas wäre Papst Benedikt XVI. und seinem engeren Mitarbeiterstab sicherlich aufgefallen. Noch dazu lautete die Anrede des Grußwortes Papst Benedikt XVI., die bei den Requien für Otto von Habsburg in München und in Wien verlesen wurde, auch nicht „Kaiserliche Hoheit“, obwohl Papst Benedikt XVI. und Otto von Habsburg persönlich miteinander bekannt waren und obwohl Otto von Habsburg der älteste Sohn des letzten österreichischen Kaisers war. Georg Friedrich aus dem Hause Preußen ist hingegen nur der Ururenkel des letzten deutschen Kaisers.

Wie schon die Eheschließung zwischen Fürst Albert II von Monaco und seiner Frau Charlene so war auch die Eheschließung von Georg Friedrich und Sophie getragen von starken PR-Bestrebungen. Mehrfach hob der evangelische Pfarrer Michael Wohlrab von der Kaiserin-Auguste-Stiftung die engen Beziehungen zum Brautpaar hervor, das bereits die Jahrtausendwende gemeinsam auf dem Turm der Gethsemane-Kirche auf dem Ölberg verbrachte, weil man von dort aus so gut in das Land schauen könne. An dem Ort, an dem Jesus Christus kurz vor seiner Verhaftung seine bittersten Stunden verbracht hat und sich sogar von Gott allein gelassen gefühlt hat, feierte der Ururenkel der Stiftungsgründerin Kaiserin Viktoria Auguste fröhlich und begeistert ins Land schauend ins neue Jahrtausend hinein. Fast kommt einem das Wort „Selbstbedienungsladen“ in den Sinn. Doch eine solche Bezeichnung würde ja wahrscheinlich als pietätlos empfunden werden, zumindest von dem Ururenkel der Stiftungsgründerin, der mit Sophie nun eine neue Stütze der Kaiserin-Auguste-Stiftung geehelicht hat. Wusste man von Charlene, dass sie viel Zeit im Wasser verbracht haben musste, um an den Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen, so weiss man vom beruflichen Werdegang der Braut wenig. Sie selbst hat in einem Interview kurz vor der Hochzeit gesagt, sie habe im Charity-Bereich gearbeitet. Bei der Fernsehübertragung hieß es, sie habe eine IHK-Ausbildung abgeschlossen und dies sogar mit einem sehr guten Ergebnis. Man will ja nicht näher nachfragen, aber eine IHK-Ausbildung kann man auch mit einer mittleren Reife beginnen und sogar mit einem Hauptschulabschluss. Wie man dann mit einem IHK-Abschluss Charity-Sponsoren managen kann, hat niemand erklärt. Zweimal sogar betonten die Kommentatoren des hessischen Rundfunks, dass die Brautleute bürgerlichen Berufen nachgingen. Georg Friedrich managt als Absolvent eines Betriebswirtschaftstudiums an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg in Sachsen die berufliche Zukunft von Hochschulabsolventen in Berlin, indem er als Unternehmens- und Existenzgründerberater die Innovationen von Hochschulabgängern vermarkten hilft.

Nicht nur die enge Verflechtung des Brautpaares mit der Kaiserin-Auguste-Stiftung kam desöfteren zur Sprache. Auch die guten Beziehungen zum Land Brandenburg waren offensichtlich, denn der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzek (SPD) saß bei dieser Trauung in der ersten Reihe im linken Block, die Familie saß im rechten Block. Selten hat man eine Adelshochzeit gesehen, bei der der derzeitige politische höchste Repräsentant eines Bundeslandes in der ersten Reihe saß. Ministerpräsident Platzek lobte nach der Hochzeit das Ereignis als eine gute PR-Aktivität für Brandenburg, das die Nachfolge von Preußen angetreten habe. Preußen dürfe nicht immer nur mit der Entscheidung Kaiser Wilhelms II., den ersten Weltkrieg zu beginnen, verbunden werden. Preußen stehe auch für Pflichtbewusstsein, Disziplin, einen bürokratischen Ordnungs- und Verwaltungssinn, allgemeine Schulpflicht und vieles mehr, betonte der brandenburgische Ministerpräsident. Dies müsse sich zukünftig noch mehr in das allgemeine Bewusstsein einprägen. Hiermit hat er sicher Recht. Georg Friedrich aus dem Hause Preußen wird ihm diese Aufgabe nicht bestreiten, denn er strebe kein politisches Amt an, verkündete er. Wer weder Ländereien noch Fabriken aus dem Erbe seines Adelsgeschlechtes besitzt, verlegt sich heutzutage gerne auf Charity-Veranstaltungen und die Verwaltung von Stiftungen. In Brandenburg kann dies auch die Errichtung einer konfessionsgebundenen Jungenschule sein, wie dies vor einigen Jahren der 2009 verstorbene Bruder Gregor Ulrich Graf Henckel von Donnersmarcks OCist Leo-Ferdinand Graf Henckel von Donnersmarck als ehemaliger Präsident des Malteserordens und Kuratoriumsmitglied des „Forums deutscher Katholiken“ im Gründungsbeirat in Potsdam vorhatte.(4) Ob sich Georg Friedrich aus dem Hause Preußen oder seine nun angetraute Frau Sophie hierfür ebenfalls engagiert hatten, ist nicht bekannt. Jedenfalls meinte der blauäugige Pfarrer Michael Wohlrab aus Jerusalem, die schöne Katholikin Sophie habe den Preußen-Spross Georg Friedrich so sehr bezaubert, dass mit ihr nun eine Katholikin in die protestantische Dynastie eingeheiratet habe. Die anwesende Hochzeitsgesellschaft schmunzelte nur und lachte kurz hell auf.

Dies könnte somit nach der Benutzung des Prinzen- und Prinzessinnentitels ohne einem regierenden Haus anzugehören, die zweite „feindliche Übernahme“ sein. Die dritte „feindliche Übernahme“ während einer so friedlichen Hochzeitsfeier in der Potsdamer Friedenskirche wankte erst nach der Feier über den Bildschirm und schien auch den Hinterausgang der Kirche genommen zu haben. Jörg Kirschstein, der von den Fernsehmoderatoren der Hochzeit als Adelsexperte eingeführt wurde, und der in der Abteilung Schlossmanagement des Neuen Palais in Potsdam Führungen durch das Neue Palais anbietet, hat sie sofort erkannt: Maria Wladimirowna Romanowa und ihren Sohn Georgi Michailowitsch. Die russische Adelige, die Beziehungen nach Coburg hat, sei das derzeitige Oberhaupt des Hauses Romanow, gibt der in Potsdam zu DDR-Zeiten geborene Jörg Kirschstein der Fernsehöffentlichkeit zur Kenntnis. Wo sich Rolf Seelmann-Eggebert zu diesem Zeitpunkt befand, ist nicht bekannt. Vielleicht war er gerade nicht im Raum, denn sonst hätte er sicher eingegriffen. Zudem handelt es sich bei diesem Adelswissen nicht um unzugängliche Geschichtsgeheimnisse, sondern um allgemein über das Internet verfügbare Informationen. Maria Wladimirowna Romanowa ist die Tochter von Wladimir Kyrillowitsch Romanow(5) und wurde 1986 von Franz Wilhelm von Preußen, einem Urenkel Kaiser Wilhelm II., geschieden.(6) Der Vater des Vaters von Maria Wladimirowna Romanowa ist Kyrill Wladimirowitsch Romanow, der sich 1924 im Exil selbst zum Zar ausgerufen hat.(7) Kyrill Wladimirowitsch Romanow ging nach der Oktoberrevolution nach einem Finnlandaufenthalt nach Coburg ins Exil. Dort wurde er auch bei seinem Tod 1938 bestattet. Seine Gebeine wurden 1995 nach Sankt Petersburg überführt (8), wie dies mit den Gebeinen anderer Verstorbener der Großfamilie Romanow-Holstein-Gottorp auch geschah. Dass die eigene Ausrufung Kyrills 1924 "entsprechend den Thronfolgegesetzen des Zarenhauses"(9) geschah, ist eine historische Anmaßung und wird nur von den engeren Verwandten Kyrills so gesehen, die gerne davon profitieren würden. Der europäische Hochadel ist hier ganz anderer Meinung, was sich auch darin zeigt, dass Maria Wladimirowna Romanowa zu keinem der Feste des europäischen Hochadels eingeladen wird, außer zu den Feierlichkeiten im Hause Georg Friedrichs. Nach seiner Selbsternennung zum Zar ließ sich Kyrill Wladimirowitsch Romanow von den Bolschewiken bestätigen. Dieselben Bolschewiken hatten 1918 die Zarenfamilie ermordet. Wikipedia, dem nicht immer zu trauen ist, weiss noch, dass Kyrill Wladimirowitsch Romanow deutliche Sympathien für die Faschisten hegte.(10) Er war sozusagen nach beiden Seiten kompatibel. Dies müsste selbstverständlich ebenso auffallen wie der Umstand, dass er sich selbst zum Zaren ausgerufen hat, nachdem die rechtmäßig regierende Zarenfamilie ermordet worden war. Kurz und knapp möchte man sagen: So geht es denn doch nicht. Zar bzw. Kaiser wird man nicht, indem man sich selbst – noch dazu im Exil - dazu ausruft. Sonst wären ja auch alle Gegenpäpste während der schismatischen Spaltung der katholischen Kirche anerkannt. Auch der Umstand, dass Maria Wladimirowna Romanowa „richtig russisch aussieht“, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie sich die Führungsrolle nur anmaßt und dabei nicht beachtet, dass sie nach der regulären Erbfolge gar nicht dran wäre. Für ihren Sohn Georgi Michailowitsch würde sie eben durch dick und dünn gehen und gern die Führungsrolle im Hause Romanow beanspruchen. Doch wie kommt nun Maria Wladimirowna Romanowa, die als Großfürstin zum russischen Hochadel gehört, in die Hochzeitsgesellschaft von Georg Friedrich aus dem Hause Preußen? Ganz einfach. Der Großvater von Maria Wladimirowna Romanowa war Kyrill Wladimirowitsch Romanow und dieser war ebenso der Urgroßvater von Georg Friedrich aus dem Hause Preußen. Somit waren der Vater von Maria Wladimirowna Romanowa Wladimir Kyrillowitsch Romanow und Kira Kyrillowna Romanowa, die Großmuter Georg Friedrichs, Geschwister.(11) Zudem gibt es eine Verwandtschaftsbeziehung, da Maria Wladimirowna Romanowa mit Franz Wilhelm von Preußen einen Urenkel Kaiser Wilhelms II. und gleichzeitig ihren Cousin geheiratet hat. Nach deutschem Recht ist eine solche Ehe eigentlich nicht zulässig, aber die beiden haben 1976 in Madrid geheiratet.(12) Georgi Michailowitsch ist somit das Kind aus einer Ehe zwischen einem Cousin und seiner Cousine. Doch so wie Georg Friedrich nicht zu Recht den Titel „Prinz von Preußen“ tragen darf, so darf sich seine Großcousine Maria Wladimirowna Romanow nicht Oberhaupt des Hauses Romanow nennen. Was einen Zuschauer und eine Zuschauerin mit geringfügigen Internetrecherchen doch alles so stören kann an einer Fernsehübertragung des hessischen Rundfunks unter Beteiligung des RBB!

Neben manch Anderem ist es doch erstaunlich, dass sich Potsdam, der RBB, der brandenburgische Ministerpräsident und ein Angestellter der Schlösserverwaltung aus Potsdam, mithin also alles Nachfolger und Nachfolgeinstitutionen ehemaliger DDR-Institutionen, so sehr für eine hochadelige Hochzeit begeistern können. Galt nicht in der ehemaligen DDR der Adel als abgeschafft und historisch völlig überwunden? Was aber, wenn man nun einfach hinter die Zeiten, in denen es die DDR gab, zurückgeht und sich auf die Zeit nach 1918 bezieht? Da waren für die Bolschewiken Teile des russischen Hochadels durchaus akzeptabel, die anderen hatte man ja ohne Gerichtsverhandlung kurzerhand hingerichtet. Nach westlichem Verständnis würde man sagen „ermordet“. Aber diese moralische Bewertung liegt Bolschewiken und in deren Nachfolge linken Systemträgern fern. Somit ist die wirkliche Sensation der Adelshochzeit in Potsdam zwischen Georg Friedrich aus dem Hause Preußen und Sophie aus dem Hause Isenburg, dass vormalige Staatsbürger des DDR-Regimes nun, zwanzig Jahre nach der Wende, „ihre“ Form entdecken, welchen Adel sie gerne für ihre Zwecke und damit auch für ihre PR-Vermarktungszwecke gelten lassen und welchen sie einfach übersehen.

(1) vgl.  http://www.bmi.bund.de/cae/servlet/contentblob/150142/publicationFile/35310...., S. 21, 12.09.2011

(2) vgl. http://ww.planet-wissen.de/kultur_medien/brauchtum/hochzeit/juedische..., 12.09.2011
(3) vgl. http://www.bmi.bund.de/cae/servlet/contentblob/150142/publicationFile/35310...., S. 21, 12.09.2011
(4) vgl. Hertel Peter (2007): Schleichende Übernahme. Das Opus Dei unter Papst Benedikt XVI., Oberursel, S. 13

(5) vgl. http://de.wikipedia.org/Stammliste_des_Hauses_Romanow-Holstein..., 12.09.2011

(6) vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Wilhelm..., 12.09.2011

(7) vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kyrill_Wladimirowitsch..., 12.09.2011

(8) vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kyrill_Wladimirowitsch..., 29.10.2011

(9) vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kyrill_Wladimirowitsch..., 12.09.2011

(10) vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kyrill_Wladimirowitsch..., 12.09.2011
(11) vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kyrill_Wladimirowitsch..., 12.09.2011
(12) vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Wilhelm_Prinz_von... 12.09.2011

Elke Göß

erschienen: 12. September 2011

update: 29. Oktober 2011

 

Beim ersten Staatsbesuch eines deutschen Papstes nach über 1000 Jahren in seinem Heimatland nur „the same procedure as every time“ bei Papstreisen?

In vier Tagen wird eine Alitalia-Maschine mit einem Vatikan-Fähnchen und einem Deutschland-Fähnchen am Cockpit auf dem Flughafen Berlin-Tegel landen und langsam auf den roten Teppich zurollen, auf dem Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Christian Wulff bereit stehen und auf einen Geistlichen warten, mit dem sie nicht immer einer Meinung sind. Dieser dritte Besuch Papst Benedikt XVI. in Deutschland wurde immer wieder verschoben. Zuerst war der zwanzigste Jahrestag des Mauerfalls im Gespräch, das wäre November 2009 gewesen. Dann hätte es der zwanzigste Jahrestag des Wiedervereinigungsvertrages im Oktober 2010 werden können. Nun sind es vier Tage im September 2011 geworden, die eigentlich so gar keinen Bezug auf irgendein Jubiläum haben. Heftige Verstimmungen gab es zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Papst Benedikt XVI. in der Frage des Umgangs mit dem Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson im Frühjahr 2009. Da sich die Kanzlerin eine eindeutigere Distanzierung von dem Pius-Bruder gewünscht hätte, gerieten die Vorbereitungen für den Papstbesuch ins Stocken. Völlig aus dem Blick geraten ist dabei, dass Papst Benedikt XVI. vor der Rücknahme der Exkommunikation der Pius-Brüder am 24. Januar 2009 nur sehr schlecht oder gar nicht informiert war über die aktuellen Äußerungen vom Bischof Richard Williamson. Versäumt hat dies offensichtlich vor allem der dem Opus Dei nahe stehende Darío Kardinal Castrillón Hoyos, der laut der Fernsehsendung „Mythos Konklave“ bei der Wahl Papst Benedikt XVI. als einer der beiden Papstmacher gelten darf. Es muss angenommen werden, dass der äußerst erzkonservative Kardinal Hoyos diese Lunte bewusst gelegt hat, weil er mit dem progressiven Kurs Papst Benedikt XVI. nicht einverstanden war und dass diese Lunte genau im richtigen Moment gezündet wurde. Anstatt dass Papst Benedikt XVI. Rückendeckung bekommen hätte, hat ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel noch zusätzlich bloßgestellt, indem sie unterstellt hat, Papst Benedikt XVI. schütze den Holocaust-Leugner.

Dann brachen zu Beginn des Jahres 2010 die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aus dem Dunkel des Schweigens an das Licht der Öffentlichkeit. Wieder gab es Dissens, wie offen die katholische Kirche damit umgehen sollte. An einer konsequenten juristischen Aufarbeitung, an der sich auch die katholische Kirche beteiligt, gibt es nun keinerlei Zweifel mehr. Die katholische Kirche in Deutschland hat bei Gesprächen an Runden Tischen in einer bundesweiten Initiative bewiesen, dass sie bereit ist, sich dem Thema des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensangehörige zu stellen, für Therapieangebote zu sorgen, disziplinarische Maßnahmen gegen die katholischen Geistlichen und Ordensangehörigen zu ergreifen und gegebenenfalls auch Entschädigungszahlungen anzubieten. Als nächstes erkrankte der damalige Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinski schwer und fiel ins Koma. Am 30. Juni 2011 ist er verstorben und sein Nachfolger, Erzbischof Rainer Mraia Woelki, wurde am 27. August 2011 in sein Amt eingeführt.

Kurz vor dem Papstbesuch äußern sich einige Abgeordnete der Partei "Die Linke", der SPD und des "Bündnis90/Die Grünen" skeptisch über die Rede des Papstes im Deutschen Bundestag und wollen fern bleiben. Zudem kommt genau passend kurz vor dem Papstbesuch die Meldung in die Medien, dass einige Missbrauchsopfer Klage beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen Papst Benedikt XVI., Kardinalstaatssekretär Tarciso Bertone, dessen Vorgänger und derzeitigen Dekan des Kardinalskollegiums Angelo Sodano und gegen William Kardinal Levada, den derzeitigen Präfekten der Glaubenskongregation, erhoben haben.(1)

Wer bereits mit Papst Benedikt XVI. auf Reisen war, wird feststellen, dass das Programm für Berlin, Erfurt und Freiburg „the same procedure as every time“ vorsieht: Empfang durch den Regierungschef, Empfang durch den Staatschef, Gespräche mit beiden im Séparée, eventuell Rede des Papstes vor dem Parlament (selten im Programm), Besuch der Gedenkstätten für die verfolgten Jüdinnen und Juden, Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften, Treffen von Missbrauchsopfern, Messe in dem größten zur Verfügung stehenden Stadion etc. Dennoch hat der Besuch eines deutschen Papstes in seinem Heimatland etwas Heikles. Warum ist dies so? Ist der Papstbesuch schon jetzt eine verpasste Chance?

Findige JP II-Fans, das sind Fans von Papst Johannes Paul II., haben errechnet, dass der polnische Pontifex durchschnittlich alle 2 ½ Jahre sein Heimatland besucht hat. Papst Benedikt XVI. wird im September 2011 sechs Jahre und fünf Monate im Amt sein. Sieht man einmal von dem zweitägigen Kurzbesuch im Jahr 2005 beim Weltjugendtag in Köln ab, so besuchte Papst Benedikt XVI. nur einmal, im Jahr 2006, Deutschland und hierbei vor allem seine bayerische Heimat. Diese steht nun beim bevorstehenden Besuch gar nicht auf dem Programm und es mutet wie eine gemeine Schikane an, dass man ihn nach Deutschland einlädt, ohne auch nur einen einzigen bayerischen Programmpunkt aufgenommen zu haben. Noch nicht einmal der Papst-Bruder Domkapellmeister i.R. Georg Ratzinger will bei diesem Deutschlandbesuch Papst Benedikt XVI. aus Regensburg anreisen. Allerdings wird die Alitalia-Maschine des Papstes, die am 22. September 2011 um 10.30 Uhr in Berlin-Tegel landen wird, aller Voraussicht nach zwischen 8.30 und 9.00 Uhr das Münchner Oktoberfest überfliegen. Ob die Maschine dabei in den Tiefflug gehen wird, damit der Papst die bayerische Landeshauptstadt besser sehen kann, ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich.

Dies ist der erste offizielle Staatsbesuch des 2005 gewählten Oberhauptes der katholischen Kirche in seinem Heimatland Deutschland – also nach sechs Jahren und fünf Monaten. Papst Benedikt XVI. ist der erste deutsche Papst seit 1058, sieht man einmal von dem Pontifikat Hadrian VI. (1522-1523) ab, der Martin Luther noch erlebt hat und der eigentlich aus den Niederlanden kam. Seit 25. Juni 2011 ist Papst Benedikt XVI. sogar der am Längsten amtierende deutsche Papst in der Geschichte der katholischen Kirche mit fünf Jahren zwei Monaten und acht Tagen.(2) In Spanien war der Papst seit Beginn seines Pontifikates sogar schon dreimal. Kein Wunder, dass er die schätzungsweise 1,5 Millionen jungen Pilgernden auf dem Gelände des Madrider Flughafens Cuatro Vientos gerne gesehen hat, die ihm im strömenden Reden zugejubelt haben, dass er „ihr“ Papst ist. Das ist Begeisterung, das ist Jugend, das ist die Zukunft. Deutschland kam bei der Vigil am 20. August 2011 im Madrider Stadion Cuatro Vientos auch vor. Eine junge Frau erzählte zu Beginn der Vigil, dass sie aus Berlin komme und keiner Kirche angehöre, was sie an der katholischen Kirche schätze, welche Fragen sie bezüglich ihrer Zukunft bewegten und wie sie diese Fragen in Zusammenhang bringen könne mit der Botschaft der Kirche. Wie blamabel wurde Deutschland dargestellt und welchen Eindruck mögen die 1,5 Millionen Jugendlichen, nach anderen Schätzungen sollen es sogar zwei Millionen Jugendliche gewesen sein, von Deutschland bekommen haben? Das Land erschien völlig säkular, missionsbedürftig und religiös karg. So neu war diese Darstellung nicht. Denn auf dem Weltjugendtag im australischen Sidney kam bei der Vigil am vorletzten Abend des Papstbesuches eine ganz ähnliche Szene vor. Nicht nur bei den Weltjugendtagen, die seit Jahren von Stanislaw Kardinal Rylko, dem Präsidenten des von Papst Benedikt XVI. neu gegründeten Rates zur Förderung der Neuevangelisierung und bekennendem Opus Dei-Mitglied organisiert werden,  sondern auch in Rom, besser im Vatikan, liebt man es, Deutschland als ein religionsarmes Land hinzustellen. Walter Kardinal Kasper stimmt gerne diese Töne an. Dazu passt, dass sich einige Abgeordnete des Deutschen Bundestages bereits Wochen vor der geplanten Ansprache des Papstes aufgeregt haben, weil sie fürchteten, der Papst benutze seine Ansprache zu einer Missionsrede. Nun, von einem religiösen Oberhaupt einer weltweit vertretenen Religionsgemeinschaft muss man wohl eine religiös inspirierte Rede erwarten. Das ist richtig. Bedenken sollte man allerdings, dass der Papst auch schon vor der UNO in New York gesprochen hat und dass die religiöse Infiltration damals ausgeblieben ist. Auch die Briten liessen Papst Benedikt XVI. im House of Parliaments reden. Das Europäische Parlament hat ihn eingeladen. Papst Benedikt XVI. neigt dazu, an verschiedenen Orten nahezu das Gleiche zu sagen. Dies können selbstverständlich nur wahre Papstkenner und –kennerinnen entdecken, denn man muss schon einige Begeisterung mitbringen, um bei den Auslandsreisen Papst Benedikts XVI. am Ball zu bleiben. Wer Papst Benedikt XVI. einmal live erlebt hat, wird sich seinem bescheidenen, zurückhaltenden Charisma nicht entziehen können, von dem kaum jemand unberührt bleibt, von dem aber auch noch nie jemand gesagt hat, er habe sich missioniert gefühlt.

In Berlin werden anläßlich des Papstbesuches auch drei Demonstrationen erwartet, wie der Planer des Papstbesuches, der Jesuit Hans Langendörfer, in der am 29. August erschienen Ausgabe des Focus bekannt gab.(3) Vielleicht kommt zu den drei bekannten Demonstrationen noch eine hinzu: „Muslime für Papst Benedikt XVI.“. Wer weiss… Dies wäre ein absolutes Novum in der Geschichte der katholischen Universalkirche und würde ein Zeichen der Solidarität zwischen den deutschen Muslimen und Papst Benedikt XVI. setzen und die Verstimmungen, die sich nach der Rede von Papst Benedikt XVI. in der Regensburger Universität im Jahr 2006 ergeben haben, wieder aufheben. Bei der bisher bekannten Kundgebung des Christopher Street Days werden sogar 20.000 Teilnehmende erwartet. Im Berliner Olympiastadion wollen 70.000 Gläubige die Messe mit Papst Benedikt XVI. feiern, davor wollen die Christopher Street Day-Aktivisten demonstrieren. Deshalb befürchten Verantwortliche im Deutschen Bundestag ein Verkehrschaos rund um das Olympia-Stadion. Man kann nur hoffen, dass die Ausübung der Religionsfreiheit von 70.000 Gläubigen dabei gewahrt wird. Aus diesem Grunde wäre es rational sinnvoll, wenn die Demonstierenden so gelenkt werden würden, dass keinerlei Ausschreitungen zu befürchten sind.

Nur bei sehr wenigen Papstreisen gab es im Vorfeld Kundgebungen zu speziellen Themen. Vor allem kurz vor der USA-Reise Papst Benedikt XVI. im Jahr 2008 kam es zu größeren Demonstrationen. Gegen den Weltjugendtag in Madrid demonstrierten vom 16. bis 21. August diesen Jahres einige hundert säkular eingestellte Gegner, weil sie die Veranstaltung nicht durch Steuergelder finanziert sehen wollten. Richtig ins Gewicht fielen die paar hundert Demonstranten gegenüber den 1,5 Millionen Jugendlichen aus aller Welt nicht. Anders könnte dies in Berlin werden. Dass die Veranstalter dieser Demonstrationen sich nicht wirklich eingehend mit Papst Benedikt XVI. und dessen Pontifikat befasst haben, zeigt ein Blick in das Buch „Vatikanistan“ des Spiegel-Journalisten Alexander Smoltczyk.(4) Besonders den Christopher Street Day-Aktivisten sei das Kapitel „Deus caritas est: Sex und Eros hinter den Mauern“(5) des sicher nicht ultra-konservativen Spiegel-Journalisten empfohlen. Um den heftigsten Demonstrationen ihre Spitze zu nehmen, traf sich vergangene Woche der gerade in sein Amt eingeführte Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki mit Vertretern der Schwulen- und Lesbenbewegung. Ob es mit diesem Wissen wirklich Sinn macht, die eigene sexuelle Orientierung auf die Straße zu tragen, erscheint fraglich. Nach liberalem Verständnis gehört Sexualität ins Privatleben und nicht auf die Straße. Eine liebevoll gelebte Zweisamkeit überzeugt alle Mal mehr als plakatives Demonstrieren der eigenen sexuellen Orientierung auf den Straßen.

Besondere Beachtung bei der bevorstehenden Reise Papst Benedikt XVI. nach Deutschland verdienen nicht so sehr die groß angelegten Programmpunkte, wie beispielsweise die Rede des Papstes im Bundestag. Dies ist, wie gesagt, „the same procedure as every time“. Hier wird sich alles im bisher gewohnten Rahmen halten. Auffällig sind vielmehr die kleinen Akzentverschiebungen, die der Vatikan, Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und Papst Benedikt XVI. selbst immer wieder vollziehen. Dass sich Papst Benedikt XVI. etwas schwer tut mit den politischen Oberhäuptern dieser Welt hat sein Besuch im Jahr 2008 im Weißen Haus bei Präsident George Busch gezeigt, als der Papst partout darauf bestand, an seinen 81. Geburtstag mit seinen Bischöfen zu Mittag zu essen und die Einladung des US-Präsidenten ausschlug. Ähnlich kühl geht Papst Benedikt XVI. immer wieder mit Königen und Staatsoberhäuptern um. So haben der spanische König Juan Carlos und seine Frau Sophia den Papst am Flughafen in Madrid am 18. August 2011 mit allen Ehren empfangen. Am darauf folgenden Tag hat der Papst die spanische Königsfamilie sogar in Real Sitio de San Lorenzo de El Escorial besucht. Bei der Vigil am 20. August 2011 waren Kronprinz Philipe und seine Frau Laetizia anwesend und an der Messe am Sonntagmorgen nahmen König Juan Carlos und Königin Sophia teil. Doch nach der Messe wäre Papst Benedikt XVI. fast von der Bühne abgegangen, ohne sich vom König und der Königin zu verabschieden, die während der Messe nur wenige Meter vom Papst entfernt gesessen hatten. Fast entsteht der Eindruck, die Regierungschefs hätten eine Bringschuld abzuleisten, wenn die Gespräche mit dem Papst nicht in den Regierungssitzen stattfinden, sondern wenn die Regierungschefs dafür in die Nuntiaturen kommen müssen. Hier bildet der Weltjugendtag in Madrid tatsächlich eine Zäsur, denn Papst Benedikt XVI. empfing mit dem sozialistischen Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero erstmals einen Regierungschef in der Nuntiatur, also in der Botschaft des Vatikans. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel „darf“ in Berlin in die Nuntiatur kommen. Der Papst besucht sie nicht im Bundeskanzleramt. Still und leise, heimlich und unbemerkt werden damit Grenzen verschoben. Der Vatikan etabliert sich als Staatsmacht. Der Papst zeigt sich innerhalb der Mauern seiner religiösen Hausmacht. Hierauf müsste das Augenmerk gerichtet sein.

Kaum eine Grenzverschiebung ist allerdings bezüglich des ökumenischen Dialogs während des Papstbesuches zu erwarten. Dies hat auch der Reiseplaner des Papstes, Hans Langendörfer SJ, dem Focus gesagt. Bei seinem Besuch im Augustinerkloster Erfurt werde Papst Benedikt XVI. „die Rolle Martin Luthers und der Reformation würdigen. Die Betonung der Heiligen Schrift und der Volksfrömmigkeit sind wichtige Anliegen, die die katholische Kirche mit ihr teilt. Und natürlich wird der Papst eine Position auch zu den schwierigen Seiten der Reformation beziehen“.(6) Sehr ausführlich fällt diese Vorschau auf die Rede Papst Benedikt XVI. im Erfurter Augustinerkloster nicht aus, dennoch scheint es so, als sei Pater Langendörfer vom Vatikan vorab darüber informiert worden, in welche Richtung die Rede des Papstes gehen wird. Publikumswirksame, schnelle Änderungen wird Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch in Erfurt nicht verkünden. Dagegen stünden in aller Ruhe geführte theologische Abklärungen an, die in der Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum 1517 geführt werden müssten.(7)  Dies hat nun am 17. August 2011 der Papst selbst bestätigt. Erstmals sprach Papst Benedikt XVI. „Das Wort zum Sonntag“ in der ARD in Vorbereitung auf seinen Deutschlandbesuch. Dabei sagte er, dass er das Augustinerkloster in Erfurt besuchen werde, wo Martin Luther seine theologische Laufbahn als Mönch begonnen hat und dass er dort mit Vertretern der evangelischen Kirche „sprechen“ werde, dass sie gemeinsam beten werden und dass sie „innerlich“ gemeinsam die Ökumene vollziehen würden. Dem Bayern an sich ist die Unterscheidung zwischen „sprechen“ und „reden“ geläufig. Miteinander sprechen meint, gegenseitig Worte auszutauschen, die wenig oder gar nicht von Belang sind. Man spricht halt miteinander. Miteinander reden meint, sich wirklich gegenseitig als gleichberechtigt Ernst zu nehmen und sich von dem anderen auch etwas sagen lassen zu wollen. Auch die Formulierung, „er“ werde mit den Vertretern der evangelischen Kirche sprechen, deutet darauf hin, dass er zum einen seine Vorrangstellung durch dieses Gespräch keineswegs gefährdet sieht. Zudem kann man einen leichten Ärger im Hintergrund heraushören bei Papst Benedikt XVI., wenn man ihn länger kennt.

Eine ganz erstaunliche Äußerung entfuhr dem derzeit noch amtierenden Landesbischof Dr. Johannes Friedrich bei einem vom Bayerischen Rundfunk organisierten Gespräch mit seinem bislang designierten Nachfolger Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, das von Martin Wagner geleitet wurde und am 13. August 2011 bei BR-alpha ausgestrahlt wurde. Da fuhr der ansonsten äußerst ausgeglichen wirkende Landesbischof Friedrich dem neben ihm sitzenden Professor Bedford-Strohm in die Parade, als dieser gerade so in einer Imagination ausmalen wollte, was er alles in der Ökumene erreichen wolle und als er zugegeben hatte, dass er unberechtigterweise in den 1980er Jahren in Heidelberg das Abendmahl mit einigen katholischen Kollegen gefeiert hatte. Das gemeinsame Abendmahl werde Professor Bedford-Strohm in seiner gesamten Amtszeit als Landesbischof nicht mehr erleben, sagte Landesbischof Friedrich. Diese Äußerung war schon äußerst erstaunlich. Gleichzeitig freute sich Landesbischof Friedrich in der Rückschau auf seine Bischofszeit, dass die Ökumene so gut gediehen sei. Mitte Oktober bekommt er hierfür einen mit 10.000 Euro dotierten Preis von der Katholischen Akademie in Bayern.

Es ist schon jetzt ersichtlich, dass die Ökumene erheblichen Schaden leiden wird, falls der zum Landesbischof gewählte Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm tatsächlich am 30. Oktober 2011 in sein Amt eingeführt wird. Derzeit ist von einem „Gesichtsverlust“ die Rede, den die bayerische Landeskirche erleiden würde, würde man diesen zum Bischof designierten Kandidaten nun nicht in das Amt einführen Klar muss gesagt werden, dass der „Gesichtsverlust“ erst eintritt, falls man diesen Kandidaten tatsächlich installiert. Der Landessynode hätten nämlich vor der Wahl am 4. April 2011 drei wählbare Kandidaten bzw. Kandidatinnen zur Verfügung stehen müssen. Dies war aber nicht der Fall. Wenn beispielsweise nur einer dieser Kandidaten oder Kandidatinnen vorbestraft gewesen wäre, wäre die Wahl nicht gültig, da ein vorbestrafter Kandidat bzw. eine vorbestrafte Kandidatin nicht Landesbischof bzw. Landesbischöfin werden kann. Auch eine Falschaussage oder ein Meineid vor Gericht machen sich diesbezüglich ganz schlecht. Schließlich muss ein Landesbischof bzw. eine Landesbischöfin glaubwürdig sein gegenüber der Landeskirche und auch gegenüber der Politik. Deshalb dürfte auch die bayerische Landesregierung der Ernennung einer vorbestraften Kandidatin oder eines vorbestraften Kandidaten zur Landesbischöfin bzw. zum Landesbischof nicht zustimmen. Wenn nun, dies ist nur eine Annahme, zwei Kandidaten bzw. Kandidatinnen zum Zeitpunkt der Wahl vorbestraft gewesen wären, dann hätte die bayerische Landesregierung diese beiden, wenn einer von ihnen gewählt worden wäre, nicht ernennen dürfen. Somit wäre es keine faire Wahl mehr gewesen, da ja zwei Kandidaten bzw. zwei Kandidatinnen eh nicht von der bayerischen Landesregierung deren Zustimmung bekommen hätten dürfen. Somit wäre nur der nicht vorbestrafte Kandidat bzw. die nicht vorbestrafte Kandidatin in Frage gekommen. Dies widerspricht aber den Wahlgesetzen der Landessynode für den Landesbischof bzw. die Landesbischöfin, da drei wählbare und somit ernennbare Kandidaten und Kandidatinnen präsentiert werden müssen. Sollte es nun so sein, dass vielleicht sogar alle drei Kandidaten bzw. Kandidatinnen vorbestraft sind oder sein müssten, so ist bereits mit der Aufstellung dieser Kandidatinnen und Kandidaten ein solcher „Gesichtsverlust“ für die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern eingetreten, dass spätere Folgeschäden befürchtet werden müssen und dass ein solcher „Gesichtsverlust“ sogleich korrigiert werden müsste, nicht erst nach weiteren 12 Jahren. Die Leitung der evangelisch-lutherischen Kirche muss das Vertrauen genießen, dass es rechtmäßig zugeht und der bayerische Staat muss darüber wachen.

Es bleibt dem internen landeskirchlichen Wissen vorbehalten, wie viele Kandidaten bzw. Kandidatinnen eigentlich am 4. April 2011 bei der Wahl des evangelisch-lutherischen Landesbischofs bzw. der Landesbischöfin nicht wählbar gewesen sind. Fest steht, dass die Wahl de jure nicht nach den Gesetzen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern ablief und dass es dies sofort zu korrigieren gelten würde. Hierfür könnte man sich Zeit nehmen, denn es ist einfach nur albern, einen 12 Jahre lang hervorragend amtierenden Landesbischof noch einmal für eineinhalb Jahre auf eine Mini-Pfarrstelle auf das Land zu schicken, damit er seine Pensionsberechtigung voll erfüllt. Es ist in keinster Weise ersichtlich, warum sich die Landessynode hier nicht zu einer Amtszeitverlängerung durchringt und Landesbischof Friedrich mit 65 Jahren als Landesbischof in den Ruhestand geht. Dann hätte man nochmals gute eineinhalb Jahre Zeit, sich mit der Frage zu beschäftigen, wer ihm nachfolgen könnte und das Amt des Landesbischofs wäre in dieser Zeit ganz hervorragend besetzt. Dieses Lob ist von allen Seiten zu hören und manche sprechen gar von einem der besten Landesbischöfe nach oder neben Johannes Hanselmann, den die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern nach 1945 hatte.

Mal abgesehen von der ungültigen Wahl hört man durchaus schon Stimmen aus dem Kreis der Landessynode, dass man sich „verwählt“ habe. Wenn eine solche Einsicht so früh kommt, dann sollte man handeln und dies nicht 12 lange Jahre aussitzen. Ökumenisch wäre Professor Dr. Bedford-Strohm derzeit schlicht eine Katastrophe. Professor Bedford-Strohm, der gerne nur von sich spricht, wie er in der BR-alpha-Sendung am 13. August 2011 bewiesen hat, rühmt sich selbst als Befreiungstheologen. Hierfür hat er viel Zeit in Berkeley, New York und in der stark von Weißen dominierten südafrikanischen Kleinstadt Stellenbosch verbracht. Hier erhielt der burische „Rassismus sozusagen die akademischen Weihen“, heißt es in einem Reiseführer, der 1995 erschien.(8) Mit besonderem Stolz werde von der Universität in Stellenbosch auf den Anstieg dunkelhäutiger Studierende verwiesen. Zwischen 1989 und 1993 betrug die Zunahme 228 Prozent, denn unter den 14387 Studierenden waren es immerhin 151 dunkelhäutige Studierende, das waren 1,05 Prozent.(9) Wenn Professor Bedford-Strohm von den Afrikanerinnen und Afrikanern spricht, meint man, sich in einem Kleinkinder- und Behindertencamp wieder zu finden. Die harten lebensweltlichen Alltagsprobleme kommen in dieser europäischen Regenbogensichtweise nicht vor. Die Zeit der heiteren Lieder, die den Weltfrieden bringen sollten, ist vorbei. Hatte in den 1980er Jahren die Befreiungstheologie noch eine gewisse Schneidigkeit, weil die Mauer Ost und West trennte und weil manche die Konfliktlösung eher in zwischenmenschlichen Gesprächen und im gemeinsamen Musizieren sahen statt in hochgerüsteten Auseinandersetzungen, bei denen der Gebrauch der Waffengewalt immer als Möglichkeit im Hintergrund stand, so ist der Charme dieser flower-power-Kommunikation nach über zwanzig Jahren verflogen. Theologisch konnte sich die Befreiungstheologie in Deutschland freilich nie richtig durchsetzen. Sie ist somit eine Randerscheinung geblieben, die sich nun auch noch historisch überholt hat. Ökumenisch würde ein evangelischer Befreiungstheologe zum derzeitigen Papst Benedikt XVI. passen wie das Wasser zum Feuer. Wenn sich jemand in den vergangenen dreißig Jahren gegen die Befreiungstheologie eingesetzt hat, dann war es der bis 2005 amtierende Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Kardinal Ratzinger. Der ist nun offiziell verschwunden und in Papst Benedikt XVI. transformiert. Man kann nicht erwarten, auch wenn Papst Benedikt XVI. nun als Oberhaupt der katholischen Kirche einen offeneren Kurs fahren kann, weil er ökumenisch alle Christinnen und Christen ansprechen will, dass er seine theologische Positionierung gegenüber den Befreiungstheologen geändert hätte. Es muss somit sehr stark befürchtet werden, dass es erhebliche ökumenische Rückschritte geben wird und dass es in den nächsten 12 Jahren zu einem Stillstand in der Ökumene kommen wird. Das würde sich auch unter dem Nachfolger von Papst Benedikt XVI. nicht ändern. Häufig wird sehr die Ultrakonservativität von Papst Benedikt XVI. betont. Doch da kennt man die anderen Kardinäle, beispielsweise die aus Spanien oder aus Südamerika, nicht. Wie die Sendung „Mythos Konklave“ nachweist, die am 18. September 2011 anläßlich des Thementages „Heilige Väter“ auf 3sat gezeigt wurde, galt der Dekan des Kardinalskollegiums und der Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Kardinal Ratzinger am Tag der Papstwahl, am 19. April 2005, als Kandidat der Mitte, der sowohl konservative wie progressive Stimmen unter sich vereinigen konnte. Er ist somit progressiver wie sein Vorgänger Papst Johannes Paul II.

Hätten die evangelischen Kirchen in Deutschland diesen Papstbesuch zu einem ökumenischen Fortschritt nutzen wollen, dann hätten sie die Chance, dass der Papst die Gegend um die Lutherstätten in Sachsen-Anhalt besucht, nutzen sollen. Es wäre durchaus ein Besuchsprogramm denkbar gewesen, bei dem der Papst auch die Wartburg und eventuell Wittenberg besucht hätte. Auffällig ist ja, dass Papst Benedikt XVI. und die offiziellen Stimmen aus dem Vatikan davon sprechen, dass Papst Benedikt XVI. mit dem Augustinerkloster in Erfurt die Stätte besucht, an der Martin Luther seine ersten Schritte als katholischer Mönch gegangen ist. Einige in den evangelischen Kirchen sprechen aber davon, der Papst besuche die Kirche, in der Martin Luther Katharina von Bora geheiratet habe. Man muss der katholischen Kirche und ihrem Oberhaupt schon zugestehen, dass sie die theologischen Schwerpunkte und deren Auslegung selbst bestimmen und dass sie sich nicht von evangelischer Seite eine Text- und Handlungsdeutung unterlegen lassen, die eigentlich unseriös ist, weil diejenigen, die da handeln eine ganz andere Selbstdeutung kommunizieren. Zu einem ökumenischen Dialog gehört zu allererst, dass man sich in seinen Verschiedenheiten ernst nimmt. Niemand wird von einem katholischen Theologieprofessor erwarten, dass er Händchen haltend und Luftballons steigen lassend Ökumene zelebriert. Und in Papst Benedikt XVI. stecken sowohl der katholische Theologieprofessor wie auch der ehemalige Präfekt der Glaubenkongregation. Eine solche Persönlichkeit durch naive, kurzschlüssige Aktionen in Verlegenheit zu bringen oder Handlungsdruck erzeugen zu wollen, plakativ öffentlich Position beziehen zu müssen, wäre respektlos und völlig unangebracht. Hätten die evangelischen Kirchen also den Papstbesuch in Mitteldeutschland für die Ökumene fruchtbar werden lassen wollen, hätten sie ein theologisch relativ neutrales Besuchsprogramm an den Lutherstätten organisieren müssen. Hierbei hätten sie sich allerdings gegen den Erfurter Bischof  Dr. Joachim Wanke durchsetzen müssen, der nun scheinbar das Feld für sich aufrollen konnte, denn Papst Benedikt XVI. wird auf einem Acker eineinhalb Zugstunden von Erfurt entfernt eine Vesper feiern. Die Ortsgeistlichen und mit ihnen der Erfurter Bischof Dr. Joachim Wanke schwelgen dabei in nostalgischen Erinnerungen an die DDR-Vergangenheit, als Bischof Dr. Joachim Wanke damals Joseph Kardinal Ratzinger in einem Trabbi durch die Gegend fuhr. Hierin zeigt sich am Deutlichsten das Versagen der evangelischen Kirchen, diesen Besuch Papst Benedikt XVI. an den Lutherstätten selbst zu gestalten. Papst Benedikt XVI. wäre einer solchen Gestaltung sicherlich nicht abgeneigt gegenüber gestanden, aber nun hat sich eben Bischof Dr. Joachim Wanke mit seiner DDR-Nostalgie durchgesetzt. Das Sich-zurück-Versetzen in die Zeiten, als der Katholizismus in einer verfolgten Minderheitenposition war gegenüber dem sozialistischen Staat DDR passt wiederum in das Geschichts- und Staatsverständnis, das der Vatikan und Papst Benedikt XVI. hegen und das sich in einer eher abwehrenden Distanz zum bundesdeutschen Gesellschafts- und Politikpluralismus befindet, der antireligiös und konglomerativ zu sehr dem wirtschaftlichen Materialismus huldige. Es sei nur aus protestantischer Sicht angedeutet, dass man den religiösen Materialismus in Form des Devotionalienhandels auch heute noch in der katholischen Kirche findet.

Bezüglich der Deutung des derzeitigen gesellschaftlichen Pluralismus durch Vertreter der katholischen Kirche gilt es immer ein offenes Ohr zu haben. Erst am 13. September 2011 ging in München das 25. Friedenstreffen von Sant’Egidio zu Ende, bei dem unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Christian Wulff und auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprachen. Interessanterweise kündigte der 2010 zum Kardinal ernannte Erzbischof von München und Freising Reinhard Marx an, dass man sich darauf einstellen müsse, dass es ausschließlich katholisch geprägte Gebiete, die sich nach 1945 eindeutig von protestantischen Gebieten abgrenzen konnten, in Zukunft nicht mehr finden werde und dass man sich darauf religiös einstellen müsse. Dies klingt in den Ohren eines in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 Sozialisierten höchst plausibel. Wahrscheinlich übersieht man dabei jedoch, dass Reinhard Kardinal Marx auch Mitglied im Päpstlichen Rat für die Laien ist, dem das Opus Dei-Mitglied Stanislaw Kardinal Rylko als Präsident vorsteht.(10) Kein Geheimnis ist, dass das Opus Dei die katholisch geprägte Eindeutigkeit der gesamten Lebensverhältnisse wieder herzustellen bestrebt ist. Auch wenn Papst Benedikt XVI. selbst kein Mitglied des Opus Dei ist, so entspricht dieses Politik-, Staats- und Gesellschaftsbild doch seinem eigenen von Augustinus her geprägten Verständnis.
Dass Papst Benedikt XVI. progressiver ist, als es die meisten ihm zutrauen, beweist sein Vorgehen gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute. Es war Papst Benedikt XVI., der es in die Hand genommen hat, dagegen vorzugehen. Die Klage von einigen Missbrauchsopfern vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verletzung der Menschlichkeit wird wahrscheinlich wenig Erfolg haben. Zum einen darf der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nur in Fälle ermitteln, die sich nach 2002 zugetragen haben, als er seine Arbeit aufnahm. Damals war jedoch Papst Johannes Paul II. im Amt und sogar der Präfekt der Glaubenskongregation war ihm gegenüber weisungsgebunden. Zum Zweiten haben sich die meisten ungesühnten Missbrauchsfälle unter Papst Johannes Paul II. zugetragen. Die jüngeren Fälle werden derzeit alle aufgearbeitet. Papst Benedikt XVI. wollte sogar eine nicht durch die katholische Kirche getragene wissenschaftliche Untersuchung aller Fälle der vergangenen Jahrzehnte, die sich in den Ordinariatsakten befinden, zulassen. Dagegen erhob sich scharfer Protest der Priester und Ordensleute, die ihre Privatsphäre und ihre Persönlichkeitsrechte gefährdet sehen, wenn Personalakten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durchforstet werden, die nicht weisungsgebunden im Dienst der katholischen Kirche stehen. Das kirchliche Arbeitsrecht wurde ja erst dieser Tage wieder neu juristisch bestätigt. Wie die Klage vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag behandelt wird, ist noch nicht bekannt. Fest steht indes schon, dass auf die Initiative von Papst Benedikt XVI. erstmals seit Jahrzehnten so viel gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche unternommen wird, wie noch nie vorher in der Geschichte der katholischen Kirche.
Was kann nun zu Recht vom ersten offiziellen Besuch Papst Benedikt XVI. in Deutschland erwartet werden? Auf jeden Fall „the same procedure as every time“, das steht programmatisch schon fest. Dass es auch nicht mehr werden wird, scheint jetzt schon absehbar. Seit mehr als 1000 Jahren hat es kein Deutscher mehr auf den Stuhl Petri geschafft. Wie es aussieht, wird das auch für die nächsten 1000 Jahre so bleiben, weil es nicht gelungen ist, die Chance zu nutzen, die allein schon darin liegt, dass dieser Papst in Bayern gebürtig ist und die kirchlichen Verhältnisse in dem durch die Reformation geprägten Deutschland von klein auf, durch sein Theologiestudium und durch seine Tätigkeit als Professor und als Erzbischof wie kaum ein anderer kennt. Insofern ist dieser bevorstehende Besuch des aus Bayern stammenden Oberhauptes der katholischen Kirche schon jetzt eine verpasste Chance. Dem steht entgegen, dass sich Millionen Christinnen und Christen, evangelische wie katholische, wünschen, dass dieser Papstbesuch etwas ganz Besonders sein möge, denn: „Wir sind Papst!“
 
(3) Vgl. „Das ist ein ganz großes Ding“, Interview von Petra Hollweg und Markus Krischer mit Hans Langendörfer, Focus 35/2011, S. 31
(4) Vgl. Smoltczyk Alexander (2008): Vatikanistan. Eine Entdeckungsreise durch den kleinsten Staat der Welt, München
(5) Vgl. Smoltczyk, Vatikanistan, S. 197-207
(6) „Das ist ein ganz großes Ding“, Interview von Petra Hollweg und Markus Krischer mit Hans Langendörfer, Focus 35/2011, S. 31
(7) Vgl. „Das ist ein ganz großes Ding“, Interview von Petra Hollweg und Markus Krischer mit Hans Langendörfer, Focus 35/2011, S. 31
(8) Vgl. Baedecker-Redaktion (1995): Baedecker Südafrika. 512 Seiten, 241 farbige Bilder und Karten, viele aktuelle Tips, Hotels, Restaurants, Ostfildern, S. 383
(9) Vgl. Baedecker-Redaktion, Baedecker, S. 383
Elke Göß
update: 19. September 2011
 

Die illegale Wahl von Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm zum Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern wird auch durch seine Amtseinführung nicht legalisiert –

Ein Plädoyer für die Koinzidenz von evangelisch-lutherischem Kirchenrecht in Bayern und dem deutschen Rechtssystem aus Sicht einer liberalen Theologin

 

 

Am 9. Oktober 2011 fand um 15 Uhr in der Münchner Matthäuskirche mit der Verabschiedung von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich eine illegale Aktion statt, die unbedingt eines Widerspruches bedarf. Doch zunächst der Reihe nach.

 

1. Landesweite Umstrukturierungsprozesse

 

Landesbischof Dr. Johannes Friedrich trat sein Amt am 31. Oktober 1999 an. Die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern hatte damals eine der schwierigsten Zeiten vor sich, die man sich vorstellen kann. Der Umbruch von 1989 hatte auch die bayerischen Protestantinnen und Protestanten erreicht. Sinkende Kirchensteuereinnahmen bei steigenden Preisen und Gehältern ließen die Frage auftauchen, wie es in den kommenden Jahren weitergehen solle. Einige ambitionierte Pfarrer und Pfarrerinnen hatten den Dienst in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern bereits gegen andere Tätigkeiten eingetauscht. Ein Kirchenjurist mit vier Kindern wanderte nach Baden-Württemberg aus. Eine Journalistin mit einem Einser-Examen ging zum Bayerischen Rundfunk. Ein Pfarrer, der sich auf Kur- und Urlauberseelsorge spezialisiert hatte, wirkt nun bei Filmproduktionen des Bayerischen Rundfunks mit. Zwei Pfarrer, einer davon habilitiert, gründeten ein Beratungsinstitut für ethische Fragen von Managern und Managerinnen. Dies sind nur fünf Beispiele von Hochqualifizierten, die der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern den Rücken gekehrt haben und die es längst verdient hätten, dass die Kirchenleitung um ihre Rückkehr wirbt. Mitte bis Ende der 1990er Jahre drohte die Gefahr, dass die volkskirchliche Strukturierung sich rudimentär verkleinern könnte auf nur einige, wenige, überzeugte Pietistinnen und Pietisten und stark in den CVJM Eingebundene. Nicht nur die Gemeinden in den Großstädten schienen angegriffen. Der scharfe zeitgeistige Wind schien sich sogar auf die oberfränkischen Landgemeinden auszudehnen. Eine Revision des Landesstellenplans wurde angedacht, doch jede Gemeinde wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Bedeutungsverlust. Zwölf Jahre später ist eine entspannte Ruhe und Gelassenheit eingetreten. Niemand in der bayerischen Landeskirche befürchtet mehr einen Stellenverlust oder eine Entlassung. Verschiebungen, Zusammenlegungen, Veränderungen müssen weder auf Kosten der örtlichen Präsenz noch auf Kosten inhaltlicher Substanz gehen. Gerne würden katholische Geistliche die evangelische Kirche in Bayern mit in ihr kenterndes Boot des Priestermangels  und der Kirchenaustritte ziehen, wie beispielsweise der ehemalige Chefredakteur der deutschen Abteilung bei Radio Vatikan, Pater Eberhard von Gemmingen. Doch die konkreten Zahlen sprechen eine andere Sprache, vor allem bezüglich des Nachwuchses für das Pfarramt. In Bayern halten sich in der evangelischen Kirche die Zahl der hauptamtlichen Theologinnen und Theologen und der Theologiestudierenden die Waage mit den zu betreuenden Protestanten und Protestantinnen.

Ganz wesentlich hat den Umstrukturierungsprozess der damals neu ins Amt gekommene Landesbischof Dr. Johannes Friedrich mitgeprägt. Bevor er gewählt worden war, war ein Sturm vorausgesagt gewesen. Was kam, war ein „wind of change“. Heute sind alle Hauptamtlichen in der Landeskirche weit entfernt von der nervösen Unruhe, die sie noch Ende des letzten Jahrtausends befallen hat. Denn vor zwölf Jahren befürchtete jede und jeder insgeheim, er oder sie könne der oder die Nächste sein, der oder die gehen muss. Die bayerische Landeskirche hatte bereits in den 1980er Jahren kräftig für ihr Personal vorgesorgt und war schon immer die am Besten situierte evangelische Landeskirche in Deutschland gewesen. Nun sollten sie also bevorstehen, die gravierenden Einschnitte, aber sie kamen nicht. Heute schütteln dieselben Pfarrerinnen und Pfarrer ahnungslos den Kopf, wie man überhaupt darauf kommen könne, dass es darum gehe, dass sie einen oder eine der Ihren verlieren könnten, weil das Geld für die Besoldung nicht mehr ausreichen könnte und weil es die Schlechtesten treffen könnte. Fast schon fühlt man sich zu sicher auf einer Pfarrstelle irgendwo im bayerischen Land. Fast schon sind die althergebrachte Trägheit, das Besitzstandsdenken und die Gewohnheit wieder völlig selbstverständlich. Und dennoch wurden die Reformen durchgeführt. Und dennoch gibt es nun jährliche Gespräche mit den kirchenleitenden Organen. Eine solch gravierende Umstrukturierung durchzuführen, ohne andere aufzuopfern oder ohne schwächere Mitarbeitende an den Pranger zu stellen, ist eine der großartigen Leistungen von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich.

 

2. Personalführung

 

Es gibt selten einen Vorgesetzten, der in der Lage ist, Fehler, die er begangen hat, zu korrigieren. Landesbischof Dr. Johannes Friedrich ist fähig dazu ohne sein Gesicht zu verlieren, wie es viele in Vorgesetztenpositionen wahrscheinlich befürchtet hätten, hätten sie sich korrigieren müssen. Beispielsweise gab es zu Beginn der Amtszeit von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich eine Pfarrerin im Vorbereitungsdienst für die Verbeamtung, der von einigen Wenigen in der Gemeinde über Jahre hinweg so zugesetzt wurde, bis sich die Angelegenheit so zugespitzt hatte, dass eine Übernahme in die Verbeamtung in Frage stand. Dabei wurden übelste Verleumdungen gestreut, von denen jede einzelne Verleumdung für sich bereits justiziabel ist. Doch die Pfarrerin z.A. wollte sich nicht gegen ihre Gemeindemitglieder mittels des Strafrechts durchsetzen. Dazu gab es zu viele in der Gemeinde, die ihr den Rücken stärkten und die sie in ihrem Dienst anerkannten und würdigten. Sie argumentierte, dass ihr diese Gemeinde anvertraut sei und dass sie diese geistliche Aufgabe auch denen gegenüber ausfüllen wolle, die ihr zu schaden versuchten. Bereits damals wurde deutlich, dass die Initiatoren dieser Verleumdungen, die das Maß des Mobbings bei Weitem überstiegen, nicht in der Gemeinde zu finden waren, sondern von außerhalb kamen und dass es Verbindungen nach Coburg und nach Hof geben musste. Nur am Rande sei hier angemerkt, dass der designierte Landesbischof Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm, dessen Frau  als Psychologin schmale, bildreiche Erbauungsbüchlein schreibt und die keine psychotherapeutische Kompetenz erworben hat, in Coburg wohnt. Angenervt von einem jahrelangen Hickhack, von erniedrigenden Personalgesprächen, von zwiespältigen Klüften in der Rechtsabteilung des Landeskirchenamtes und mit der Aussicht auf eine berufliche Veränderung reichte die Pfarrerin z.A. am Reformationstag 1999 den Antrag auf Entlassung ein. Damit verbunden war eine Löschung der Verleumdungen aus den Personalakten, ein Dienstende zwei Monate später, eine noch ein halbes Jahr voll weiter gezahlte Besoldung als Anerkennung der „Schuld“ der Landeskirche in diesem Streitverfahren, der Verzicht auf einen Rechtsprozess von Seiten der Pfarrerin z.A. und eine Beibehaltung aller durch die Ordination verbrieften Rechte und Pflichten der Pfarrerin z.A. Die Pfarrerin z.A. beklagte sich, dass die Landeskirche ihr 23 Jahre langes kirchliches Engagement nicht genügend beachtete und dass die Landeskirche nichts gegen antisemitische Hetzkampagnen unternahm. Zudem hatte sie einen Nachbarsprengel während einer Vakanz voll vertreten und damit ein Jahr lang 3.000 Gemeindemitglieder betreut. Dafür hatte sie keinerlei Gehalt erhalten und ihre Vorgesetzten weigerten sich, diese Vertretungstätigkeit, die sie im Auftrag der Dekanin übernommen hatte, in das Dienstzeugnis aufzunehmen. Die Landeskirche sah sich außer Stande, in kurzer Zeit zu einer definitiven Würdigung zu kommen. Ein Rechtsverfahren hätte eine jahrelange Streitperiode zur Folge gehabt und dies wollten beide Seiten nicht. In diesem Stadium unterschrieb der noch nicht in sein Amt eingeführte Landesbischof Dr. Johannes Friedrich die Entlassungsurkunde, ohne allerdings den Titel Landesbischof benutzen zu können. Ob diese Entlassungsurkunde wirksam ist, ist strittig. Eine Entlassungsurkunde musste nach Auskunft der Rechtsabteilung im Landeskirchenamt ausgestellt werden, da die Beauftragung für diese spezielle Gemeinde beendet wurde und kein neues Anstellungsverhältnis in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern folgte. Die bestehenden Rechte und Pflichten, die sich aus der Ordination ergaben, blieben völlig unangetastet. Wie alle anderen Pfarrerinnen und Pfarrern, die eine außerhalb einer Parochie liegende Aufgabe übernehmen wollten, konnte sich die Pfarrerin während der Zeit, in der sie nicht im Dienst war, die Erlaubnis für eine spezielle Beauftragung auf dem Dienstweg erteilen lassen. Diese Erlaubnis beantragte sie in zwölf Jahren allerdings nur zwei Mal.

Anfangs hatten einige Verantwortliche in der Landeskirche noch Angst, dieser für die Pfarrerin z.A. ungerecht ausgegangene Fall könne in der Presse auftauchen. Jahrelang durchforsteten Pfarrer und Pfarrerinnen die „BILD“-Zeitung, weil ihnen jemand gesagt hatte, würde sich ein Skandal diesbezüglich anbahnen, würde er zuerst von der „BILD“-Zeitung aufgegriffen werden. Die Jahre gingen ins Land. Was genau Landesbischof Dr. Johannes Friedrich letztlich bewog, sich dieses ungerechten Falles noch einmal anzunehmen, ist nicht bekannt. Hinter verschlossenen Türen wurde dann plötzlich und unerwartet eines Tages beschlossen, dass diese Pfarrerin nachträglich in das Beamtenverhältnis übernommen werden solle und auch noch nachträglich befördert werden sollte, sodass der Makel, der sich durch die ungerechtfertigte Entlassung beamtenrechtlich ergeben hatte, damit ausgeglichen werden sollte. Unbeachtet blieb dabei, dass diese Pfarrerin, die von da ab den Titel „Pfarrerin außer Dienst“ tragen durfte, niemals in eine oberfränkische Arbeitergemeinde gekommen wäre, hätte es nicht bereits bei der Korrektur ihres Ersten Kirchlichen Examens und ihres Zweiten Kirchlichen Examens erhebliche Unregelmäßigkeiten und Beeinflussungen gegeben. Wer die Korrektoren der Klausuren im Ersten Kirchlichen Examen und im Zweiten Kirchlichen Examen waren, blieb streng geheim. Insofern konnte auch nicht nachgeforscht werden, weshalb es zu solch gravierenden Unregelmäßigkeiten kam, wer sie initiierte bzw. in Auftrag gab und ob dafür eine Gegenleistung - etwa die Zusage an den Korrektor, später auf jeden Fall eine Professorenstelle zu bekommen - versprochen wurde. Man wird sehen, ob mit der Einführung von Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm zum Landesbischof diesbezüglich Akten verschwinden und ob und wie sich die Situation der Pfarrerin wieder verschlechtern wird.

Bereits als sie Theologiestudentin war, war antisemitische Hetze verbreitet worden, die völlig abstrus war, da sie seit der ersten Klasse regelmäßig in Gottesdienste gegangen war und da sie nach der Konfirmation in vier Gruppen in der Kirchengemeinde mitgearbeitet hatte und daraufhin mit 18 Jahren in den Kirchenvorstand berufen worden war, dem sie sechs Jahre lang angehörte. Ein "Beweis", auf den sich antisemitische Ressentiments aufbauen ließen, war, dass die Theologiestudentin das Hebraicum mit 1,0 bestanden hatte. Manche, denen es scheinbar nie gelungen war, in einer Sprachprüfung eine solch gute Note zu bekommen, meinten, auf das Lernen allein dieser doch eher schwierig erlernbaren Sprache könne eine solche Note wohl nicht zurück zu führen sein. Unwissend, dass die Kenntnis der hebräischen Sprache für alle evangelischen Theologiestudierenden verpflichtend ist, meinten manche Katholikinnen und Katholiken und sogar vier katholische Priester, sie habe sich diese Sprache selbst gewählt, um damit zu brillieren. Es kann und muss also angenommen werden, dass antisemitische Vorstellungen eine Rolle gespielt haben bei der Beeinflussung der Korrektoren des Ersten Kirchlichen Examens und des Zweiten Kirchlichen Examens.

Es ist die Rede davon, dass ihre Abschlüsse sowohl beim Ersten Kirchlichen Examen wie auch beim Zweiten Kirchlichen Examen jeweils um eine ganze Note besser waren, als es im Zeugnis ausgewiesen wurde und dass sie somit in beiden Examina um eine ganze Note besser war wie der jeweilige Prüfungsdurchschnitt. Der Prüfungsdurchschnitt lag in diesem Examensjahrgang bei rund 3,4 im Ersten Kirchlichen Examen und bei rund 3,6 im Zweiten Kirchlichen Examen. Dies ist nichts Außergewöhnliches bei Kirchlichen Examina, da bei diesen Prüfungen immer so benotet wird, dass ein Durchschnitt um die 3,5 herauskommt. Diese Notendurchschnitte teilen die Theologinnen und Theologen mit den Juristinnen und Juristen.

Die Nachkorrekturen der Examina der Pfarrerin, die um eine ganze Note schlechter eingestuft wurde, erfolgten zum Teil mehr als zehn Jahre nach den Prüfungen. Eine schriftliche Bestätigung dieser Nachkorrekturen oder ein korrigiertes Zeugnis für die beiden kirchlichen Examina erhielt die Pfarrerin freilich nicht. Ihr Leben wäre gänzlich anders verlaufen, wäre es bei den Prüfungen nicht zu solch gravierenden Benachteiligungen gekommen. Wahrscheinlich wäre sie mit einem überdurchschnittlichen Examen nie in eine oberfränkische Arbeitergemeinde gekommen. Auf jeden Fall hätte sie als geeignet für eine kirchliche Führungsposition gegolten. Sicherlich hätte sie nie den Antrag auf Entlassung aus dem Dienst in der oberfränkischen Gemeinde gestellt. Sicher ist auch, dass ihr weiterer beruflicher Werdegang sie nicht aus dem Dienst der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern hinausgeführt hätte.

Dafür kann es keine Entschädigung und keine Entschuldigung geben. Dennoch ist es dem scheidenden Landesbischof Dr. Johannes Friedrich hoch anzurechnen, dass die Ungerechtigkeit dadurch gemildert wurde, dass die Pfarrerin nachträglich, ohne ihr Zutun und ohne ihren Antrag in das Beamtenverhältnis übernommen wurde, wenn er auch die Fehler bei den beiden kirchlichen Examina nicht eingestanden hat. Ebenso ist es Landesbischof Dr. Johannes Friedrich hoch anzurechnen, dass er sich gegenüber denjenigen in Leitungspositionen der evangelisch-lutherischen Landeskirche durchgesetzt hat, die durch ihr Fehlverhalten zu dieser Degradierung der Pfarrerin beigetragen haben oder diese aktiv betrieben haben. So wurde der damalige Regionalbischof Dr. Wilfried Beyhl vorzeitig in den Ruhestand versetzt, die ehemals als Alleinherrscherin aufgetretene Münchberger Dekanin Susanne Kasch wurde nicht etwa in das Landeskirchenamt befördert, obwohl sie dieses Gerücht einige Male gestreut hatte, sondern wurde auf die Stelle der Stadtdekanin in Augsburg entsandt, wo sie mit mehreren Prodekanen zusammenarbeiten muss und wo der zuständige Regionalbischof direkt vor Ort sitzt und ihm Unstimmigkeiten nicht erst zugetragen werden, sondern wo er sich selbst eine Meinung bilden kann. Auch die stets strebsam an höheren Stühlen sägende Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler hat Landesbischof Dr. Johannes Friedrich zwar zu seiner Stellvertreterin ernannt. Gleichzeitig hat er der in den Medien erfahrenen Regionalbischöfin soweit ihre Zuständigkeiten gezeigt, dass diese ihm nicht permanent in seinem Aufgabenbereich als Landesbischof in die Quere kommen konnte. Dass sich ein angeborener und biblisch fundierter Gerechtigkeitssinn auf die Personalführung auswirkt, ist äußerst selten. Landesbischof Dr. Johannes Friedrich ist hierfür ein sehr gutes Beispiel. Nur hätte man sich noch gewünscht, dass er im gesamten Personalreferat, das seit mehreren Jahren personell unverändert persönliche Ressentiments auslebt, eine grundsätzliche Umbesetzung vorgenommen hätte. Doch manche Wünsche bleiben eben unerfüllt.

 

3. Rechtsstaatlichkeit

 

Tat sich die katholische Kirche zu Beginn des Jahres 2010 noch schwer, sich dem Thema des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Hauptamtliche und Priester zu stellen, so war in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern stets klar, dass der- oder diejenige, der oder die einen sexuellen Missbrauch eines Schutzbefohlenen begangen hat, mit dienstrechtlichen und mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hatte. In einigen Fällen wurden die Konsequenzen so radikal gezogen, dass sogar einige Pfarrerinnen und Pfarrer fragten, ob dies nicht zu massiv sei. Sobald ein Missbrauchsfall als bewiesen angenommen werden musste, handelte die Landeskirche und wartete nicht auf das Ergebnis eines Strafverfahrens. Ein Beispiel ist hierfür die Anfang 2010 ausgesprochene sofortige Entlassung des Sparnecker Pfarrers Harald Welzel, der vor 23 Jahren Sex mit einer damals 12-Jährigen eingestanden hat. In Ansbach wurde der langjährig nebenberuflich tätige Organist Helmut Lammel entlassen, weil er jahrelang Sex mit einer Minderjährigen praktizierte. Die Frau war zu Beginn der Beziehung fünfzehn Jahre alt. Ein hauptamtlich tätiger Organist, der ebenfalls viele Musizierwillige anzog, war bereits Anfang der 1980er Jahre über die Grenzen seines Dekanates hinaus bekannt dafür, dass er sehr junge Frauen bevorzugte. Ob er bisher nicht zur Rechenschaft gezogen wurde, weil die jungen Frauen beinahe volljährig waren oder ob er sich nicht verantworten musste, weil seine ehemalige Dekanin bei Regen und Sturm ihre schützende Verteidigung für ihn ins Feld führte, ist bisher noch unklar. Eine Vertuschung in Form von Versetzungen auf andere Stellen, wie es in der katholischen Kirche weitestgehend über Jahre und Jahrzehnte üblich war, gab und gibt es in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern nicht und darf es auch in Zukunft nicht geben. Dies gilt selbstverständlich auch für einen im diakonischen Bereich begangenen sexuellen Missbrauch eines behinderten minderjährigen Kindes, der keinesfalls bereits nach fünfzehn Jahren verjährt ist. Jedenfalls ist bisher eine Versetzung auf einen gleichwertigen oder einen höheren Posten zum Zwecke der Vertuschung nicht bekannt und Täter oder Täterinnen können nicht damit rechnen, ungestraft davon zu kommen. Leider war in keinem der zahlreichen Interviewpassagen, die der Bayerische Rundfunk mit dem designierten Landesbischof Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm ausgestrahlt hat, auch nur ein Wort des neuen anvisierten Landesbischofs zu der Frage des Umgangs mit Missbrauchsfällen zu hören. Bei diesem Thema hat Landesbischof Dr. Johannes Friedrich eine Linie eingehalten und weiter gezogen, die bereits vorher bestand und die nicht aufgeweicht wurde. Der Umgang mit Missbrauchsopfern und die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den staatlichen Ermittlungsbehörden ist ein besonders gutes Beispiel für die enge Koinzidenz von evangelisch-lutherischem Kirchenrecht in Bayern und dem deutschen Rechtsstaat.

 

4. Vorgehen gegen antisemitische Einstellungen

 

Bereits seit seiner Zeit als Probst von Jerusalem kennt Landesbischof Dr. Johannes Friedrich die politische und gesellschaftliche Situation der Jüdinnen und Juden in Israel. Es schien immer so zu sein, als ob ihn die Jahre als Probst in Israel und Palästina ganz besonders geprägt hätten. Obwohl er in Bayern tätig war, schien er immer im Geiste auch in Israel beheimatet zu sein. Dass sich in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern immer noch antisemitische Emotionen finden lassen, hat ihn besonders berührt. In den letzten Jahren wollte er eine Diskussion in der Landeskirche in Gang setzen und schlug vor, einen Passus in die Präambel der Rechtssetzungen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern aufzunehmen, der die Verbundenheit mit der jüdischen Herkunft des Christentums zum Ausdruck bringt. Es war sehr erstaunlich, wer sich daraufhin zu Wort meldete und erklärte, ein solcher Passus sei nicht nötig oder wer die Aufnahme in die Präambel verhindert wollte. Landesbischof Dr. Johannes Friedrich musste sich anfeinden lassen, hat sich aber dennoch mit seinem Vorschlag durchsetzen können.

 

5. Homosexuelle und lesbische Partnerschaften im Pfarrhaus

 

Fast zwanzig Jahre nach der sogenannten Rosenheimer Erklärung der Landessynode und nach der gesetzlichen Einführung der eingetragenen Partnerschaften wollten der Landesbischof und die Landessynode in einem gemeinsamen Vorstoß erreichen, dass homosexuelle Pfarrer und lesbische Pfarrerinnen, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben und somit ein stabiles und dauerhaftes Beziehungsverhältnis eingegangen sind, auch im Pfarrhaus zusammen leben dürfen mit Genehmigung der Gemeinde, des Vorgesetzen bzw. der Vorgesetzten und der Landeskirche. Auch hiergegen gab es, wenn auch wenig überraschend, eindeutig formulierten Widerstand. Dennoch haben sich der Landesbischof und die Landessynode mit ihrem Angebot durchgesetzt und so dürfen homosexuelle und lesbische Partnerschaften in ein Pfarrhaus einziehen, wenn die Gemeinde, der Vorgesetzte bzw. die Vorgesetzte und die Landeskirche zustimmen.

 

6. Ökumene

 

Ökumenisch hat sich Landesbischof Dr. Johannes Friedrich stark engagiert. Besonders der Kontakt zu den katholischen Gemeindemitgliedern lag ihm am Herzen. In dem Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx fand er einen Vertrauten, mit dem er auf gleicher Augenhöhe reden konnte. Am 12. Oktober 2011 wurde ihm  für seinen selbst ausformulierten Kompromissvorschlag, der zur "Magdeburger Erklärung" führte, in der Evangelische und Katholische die Taufe der jeweils anderen Konfession anerkennen,  der Ökumenepreis der Katholischen Akademie in Bayern in München verliehen. Doch hat Landesbischof Dr. Johannes Friedrich in der Ökumene immer den lutherischen Standpunkt vertreten. Auch wenn bei der Übertragung der Verabschiedung aus der Münchner Matthäuskirche die Kommentatorin Sabine Rauh am 9. Oktober 2011 meinte, Landesbischof Dr. Johannes Friedrich habe gesagt, die theologischen Streitpunkte sollten nicht im Vordergrund ökumenischer Gespräche stehen, so äußerte sich der Landesbischof selbst gleich darauf in seiner Predigt genau gegenteilig. Landesbischof Dr. Johannes Friedrich sagte, er teile nicht die Auffassung, dass eine kleinere und ärmere Kirche besser gerüstet sei für die Zukunft. Er sagte, er glaube nicht, dass eine Entweltlichung die Kirche näher an die Menschen bringe. Er stellte die Frage, ob das gemeinsame Abendmahl tatsächlich stets als der Stein des Anstoßes gelten müsse, weshalb Ökumene zu scheitern drohe und ob nicht evangelische Christinnen und Christen öfters sonntags zum Abendmahl gehen könnten, wenn sie tatsächlich wollten, dass das Abendmahl in der evangelischen Kirche eine ebenso große Rolle spielen solle wie die Eucharestie in der katholischen Kirche.

Diese drei Äußerungen des Landesbischofs zur Ökumene sind vor allem deshalb so beachtlich, weil Papst Benedikt XVI. auf seinem Deutschlandbesuch vom 22. bis 25. September 2011 genau dies desöfteren thematisiert und gefordert hatte. Damit erteilte Landesbischof Friedrich einem „Gesundschrumpfen“ der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern eine Absage, er hob die Vorteile des Protestantismus hervor, der sich nicht so schwer tut, theologisch mit dem „Zeitgeist“ umzugehen wie die katholische Kirche und er betonte, dass es viele andere konfessionsverschiedene und konfessionstrennende Themen geben würde, über die es dringend angesagt wäre zu sprechen und meinte, dass man den ökumenischen Dialog nicht auf die gegenseitige Zulassung zum Abendmahl beziehungsweise zur Eucharestie verengen dürfe. Weiteres führte der Landesbischof hierzu nicht aus, doch es kann ergänzt werden, dass in dem letzten Punkt die Diskussion theologisch bereits so vulgarisiert ist, dass sogar Experten des ökumenischen Gespräches öffentlich darüber klagen, dass sie jahrelang das Thema der gegenseitigen Abendmahlszulassung besprochen hätten und sich an diesem Punkt nichts getan habe.

Hierzu muss man klar erkennen, dass ein unrechtmäßig durchgeführtes gemeinsames Abendmahl niemals die Zustimmung der katholischen Kirche oder des Papstes erhalten kann. Wenn der bei der Bischofswahl angetretene Theologieprofessor Dr. Heinrich Bedford-Strohm im Bayerischen Rundfunk in einer BR-alpha-Sendung am 13. August 2011 bekennt, dass er als Assistent von Professor Dr. Wolfgang Huber in Heidelberg „illegal“ gemeinsam Abendmahl mit katholischen Geistlichen gefeiert habe, bis ihm dies untersagt worden sei, so ist dies die denkbar schlechteste Voraussetzung für einen ökumenischen Dialog. Von einem Assistenten in der evangelischen Theologie hätte man mehr Verständnis in ökumenischen Abendmahlsbelangen erwartet. Auch der Münchner Theologieprofessor Dr. Gunter Wenz, der sich mit Dr. Johannes Friedrich gemeinsam vor zwölf Jahren in den „Wahlkampf“ um das Bischofsamt begeben hatte, verortete nur einen Stillstand in der Frage des gemeinsamen Abendmahles.

Dabei wäre es nicht so schwer, die Bedingungen für ein gemeinsames Abendmahl herauszufinden, die die katholische Kirche und mit ihr Papst Benedikt XVI. für unerlässlich halten. Bisher ist noch niemand darauf gekommen. Zum einen bindet die katholische Kirche die Einsetzung der Eucharestie an die Amtsfrage, d.h., wer in der Sukzession der katholischen Kirche zum Priester geweiht wurde, darf die Eucharestie einsetzen. Um zum Priester geweiht zu werden, muss ein Kandidat versprechen, zölibatär zu leben. Aufgeklärte wissen, dass mit einem zölibatären Leben nicht gemeint ist, man müsse asexuell leben. Gemeint ist, der Priester darf nicht heiraten. Daran halten sich bis heute alle Priester, Bischöfe, Kardinäle und Päpste. Manche von ihnen mögen ihre Pfarrköchin besonders gerne, manche von ihnen die Religionspädagogin, manche sollen sogar homosexuelle Kontakte haben. Alles nicht ganz legal in der katholischen Kirche, aber dem Zölibat tut dies keinen Abbruch, sie sind alle unverheiratet. Würde man nun in den protestantischen Kirchen der Freiheit des Geistes geistlich Raum geben, so könnte man auf die Frage kommen, ob es eventuell unter protestantischen Pfarrerinnen und Pfarrern solche gäbe, die in der apostolischen Sukzession ordiniert wurden. So wurde beispielsweise der ansonsten nicht sonderlich beliebte, ehemalige Bayreuther Regionalbischof Dr. Wilfried Beyhl von einem skandinavischen Bischof geweiht, der in der apostolischen Sukzession stand. Somit ging die apostolische Sukzession auf den Bayreuther Regionalbischof über. Dieser wiederum ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer zu Beginn von deren Dienstzeit und übertrug die apostolische Sukzession damit auf die Ordinierten. Es gibt somit in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern eine ganze Reihe von Pfarrerinnen und Pfarrern, die in der apostolischen Sukzession stehen und damit eine Bedingung erfüllen, die die katholische Kirche an ihre Priester stellt, die die Eucharestie einsetzen dürfen. Die zweite Bedingung muss allerdings hinzukommen, damit diese in der apostolischen Sukzession ordinierten evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer von der katholischen Kirche und vom Papst als würdig angesehen werden können, die Eucharestie einsetzen zu können. Diese Pfarrerinnen und Pfarrer müssen ledig sein, so würde man säkular sagen, wenn man zölibatär lebend meinen würde. Für die katholische Kirche und für Papst Benedikt XVI. erfüllen somit in der apostolischen Sukzession ordinierte, zölibatär lebende Pfarrerinnen und Pfarrer die Bedingungen dafür, dass Papst Benedikt XVI. ihnen die Erlaubnis erteilen können würde, dass sie die Eucharestie einsetzen dürfen. Die Erlaubnis des Papstes ist hierfür allerdings conditio sine qua non. Er kann sie jedoch theologisch gesehen unabhängig vom Geschlecht der in der apostolischen Sukzession ordinierten, zölibatär lebenden Pfarrerin oder des in der apostolischen Sukzession ordinierten, zölibatär lebenden Pfarrers erteilen. Warum dies unabhängig vom Geschlecht geschehen kann, müsste man Papst Benedikt XVI. oder einen der Kardinäle fragen.

Würde die Landessynode somit jemand zum Nachfolger oder zur Nachfolgerin von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich wählen, der diese drei Kriterien erfüllen könnte, würde somit das gemeinsame Abendmahl nicht in unerkennbare Ferne rücken wie dies der Fall ist, wenn man einen Theologieprofessor zum Landesbischof wählen würde, der gegen alle Regeln als Assistent bereits sine rite das Abendmahl gemeinsam mit katholischen Geistlichen gefeiert hat, der verheiratet ist und der als Befreiungstheologe wie ein „rotes Tuch“ auf die Leitung der katholischen Universalkirche wirkt. Nicht nur Papst Benedikt XVI., sondern auch Kardinäle haben sich in den vergangenen 30 Jahren deutlich gegen die Befreiungstheologie ausgesprochen.

Dass der Bamberger Erzbischof Dr. Ludwig Schick in einer am 26. Oktober 2011 ausgestrahlten "Stationen.Dokumentation" mit dem Titel "Bayerns neuer Landesbischof. Heinrich Bedford-Strohm - ein Portrait" den designierten neuen Landesbischof ausdrücklich willkommen heißt, ist nicht weiter verwunderlich. Coburg gehört katholischerseits zur Erzdiözese Bamberg. Nach Coburg zog  Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm bereits 1966 und wuchs in dem Pfarrhaus, in dem sein Vater tätig war, auf.  Bei der Coburger Diakonie begleitete er 1996 eine Behindertenfreizeit. Trotzdem wurde er von 1997 bis 1999 und von 2001 bis 2002 Pfarrer in der Ahorner Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und lebte und arbeitete mit behinderten Menschen zusammen (1). In Coburg wurde er 2002 Pfarrer an der Morizkirche neben seiner Tätigkeit als außerordentlicher Professor an der Universität Bamberg und als außerordentlicher Professor an der Universität von Stellenbosch. Dass Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm "nur" eine außerordentliche Professur in Bamberg bekleidete, erfuhr man erst in der Sendung "Bayerns neuer Landesbischof. Heinrich Bedford-Strohm - ein Portrait" in der Sendereihe "Stationen.Dokumentation" am 26. Oktober 2001 im Bayerischen Fernsehen. Zum Zeitpunkt der Wahl am 4. April 2011 war weder in der Vorstellung, die die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern auf ihrer Homepage veröffentlichte, noch auf der Homepage des Lehrstuhls von Herrn Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm an der Universität Bamberg je der Hinweis zu lesen, dass Herr Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm "nur" eine außerordentliche Professorenstelle sowohl in Bamberg als auch in Stellenbosch inne hatte. Sogar das Bayerische Fernsehen nannte diese Tatsache erstmals am 26. Oktober 2011. Davor war nur von einer außerordentlichen Professur in Bamberg die Rede, in Stellenbosch sollte er eine ordentliche Professur gehabt haben.

Thematisch sind sich Erzbischof Dr. Ludwig Schick und Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm in einigen Punkten einig, wie die "Stationen.Dokumentation" am 26. Oktober 2011 gezeigt hat. Beide wollen eine deutlich sichtbare Integration von Musliminnen und Muslimen in Coburg, die sich im Bau eines Minarettes zeigen soll. Dafür äußern sich beide nicht zum Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch. Von Erzbischof Dr. Ludwig Schick, der der Erzdiözese Bamberg seit 2002 vorsteht, ist bekannt, dass er im Vergleich mit dem Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx in den Augen des Vatikans stark im hinteren Mittelfeld liegt, was die Aufklärung von Fällen des sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Hauptamtliche angeht. Da entspringt dem wachen Beobachter und der aufmerksamen Beobachterin doch die Frage: "Mehr Muslime statt einer Aufklärung sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich?" Auch wenn ökumenisch zwei an einem Strang ziehen, sollte es nicht zu einer Vertuschung von Missbrauchsfällen dadurch kommen, dass man ein anderes "heißes Eisen" auf öffentlichen Podiumsdiskussionen auspackt, von dem man sicher sein kann, dass es die Gemüter für Monate erhitzen wird.


7. Mediale Darstellung

 

Fast stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass am 4. April 2011 ein Mann zum Nachfolger von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich gewählt wurde, der ökumenisch wenig kompatibel ist, der nur sehr wenig Zeit in Kirchengemeinden außerhalb Coburgs gearbeitet hat und von dem befürchtet werden muss, dass er die von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich durchgeführten Reformen, Stabilisierungen und Orientierungsleistungen wieder verringert oder gar um den Haufen wirft, um sich selbst einen Namen zu machen. In den Schuhen seines Vorgängers zu gehen, dazu wäre Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm viel zu stolz.

Schon lange hat Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm Rückenwind durch den Professor bekommen, bei dem er in Heidelberg habilitiert hat: Landesbischof i.R. Dr. Wolfgang Huber. Bereits in den Anfangsjahren der Amtszeit als Landesbischof hat der damals in Berlin und Brandenburg tätige Bischof und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber sich gern lustig gemacht über den wenig Medien erfahrenen „Hampelmann“, wie er Landesbischof Dr. Johannes Friedrich gerne bezeichnete. Bereits damals hat der damalige Landesbischof Dr. Wolfgang Huber auf einen viel besseren Kandidaten verwiesen, der in Coburg wohne und den er sehr gut kenne. Bereits damals hat der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Landesbischof Dr. Wolfgang Huber durchblicken lassen, dass er alle Stricke in der VELKD kenne, die man ziehen müsse, um bayerischer Landesbischof zu werden. Ganz offensichtlich ist Dr. Johannes Friedrich nicht nur bayerischer Landesbischof geworden und zwölf Jahre lang geblieben, sondern auch Leitender Bischof der VELKD.

Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm muss ihm wohl heimlich immer im Nacken gesessen haben und nach der Berufung in die Landessynode nach der letzten Landessynodalwahl ging ein Etappenziel für ihn in Erfüllung. Dass sich beide nicht sonderlich gut verstehen, ist den Gesprächen immer wieder zu entnehmen. Dass Landesbischof Dr. Johannes Friedrich um das Erbe seiner Arbeit fürchten muss, hat die Landessynode mit ihrer Wahl sicherlich nicht gewollt.

Der bayerische Rundfunk überschlägt sich nun, zum Ende der Amtszeit von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich mit Sondersendungen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Bayerischen Rundfunks  wurde am 13. August 2011 ein Gespräch zwischen dem scheidenden Landesbischof und dem designierten Landesbischof auf BR-alpha unter der Redaktion von Klaus Wölfle ausgestrahlt. Äußerst selbstherrlich präsentierte sich da der Neue, sprach fast nur von sich und seiner Arbeit in Berkeley und in Stellenbosch. Die Partnerkirchen der bayerischen Landeskirche in Tansania, Ungarn, in der Ukraine, in Papua-Neuguniea, in vier lateinamerikanischen Ländern und in vielen weiteren Ländern (2) erwähnte Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm gar nicht. Am 9. Oktober 2011, am Tag der Verabschiedung von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich in der Münchner Matthäuskirche, brachte der Bayerische Rundfunk eine 45 Minuten lange „Stationen.Dokumentation“  mit dem Titel „Der Herr ist mein Hirte. Johannes Friedrich: Bayerns Landesbischof verabschiedet sich“ unter der Redaktion von Klaus Wölfle. Darin war zu sehen, dass der bayerische Rundfunk Landesbischof Dr. Johannes Friedrich auf dessen Reisen nach Israel, in den Kosovo, zum Papst nach Rom und in bayerische Dekanate begleitet hat. Zusammenschnitte, Kurzflashs von Reisen, monatelange und jahrelange Arbeit auf 45 Minuten zusammengepresst. Einen eigenen Film produzierte der Bayerische Rundfunk über die Israelreise des Landesbischofs. Seine Reisen nach Südkorea und nach China wurden scheinbar vom Bayerischen Rundfunk gar nicht begleitet. Jedenfalls war keine einzige Minute darüber bisher im Bayerischen Fernsehen zu sehen. Wie der ehemalige Chefredakteur der deutschen Abteilung bei Radio Vatikan Pater Eberhard von Gemmingen bei seinem Referat "Was will Papst Benedikt - Warum tun sich Deutsche mit Rom so schwer?" in der Bayreuther Schloßkirche am 18. Oktober 2011 sagte, gelten aus katholischer Sicht gerade China und Südkorea als die Wachstumsregionen, in denen das Christentum zunehmenden Zuspruch findet. Wie kommt das? Wie kann es sein, dass aus bayerischer Sicht jede Auslandsreise von Papst Benedikt XVI. ausführlich mit Sondersendungen und Übertragungen von Messen Aufnahme in das bayerische Fernsehprogramm findet, aber keine einzige Reise des bayerischen Landesbischofs für Wert erachtet wird, medial den bayerischen evangelischen Christinnen und Christen vermittelt zu werden? Wirkt sich da immer noch und schon wieder der Einfluss des Medienprofis Landesbischof i.R. Dr. Wolfgang Huber aus, der seinen eigenen Zögling lieber früher als später auf dem Stuhl des bayerischen Landesbischofs gesehen hätte? Folgt man der regen Sendetätigkeit des bayerischen Rundfunks, seitdem Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm zum Nachfolger von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich designiert wurde, so könnte man auf diese Idee kommen. Scheinbar hat auch die als „Medienpfarrerin“ so angepriesene Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler mit ihren langjährigen Kontakten in die Münchner Presselandschaft oder durch ihren Mann, Kirchenrat Dieter Breit, keine höhere mediale Präsenz der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern im Bayerischen Rundfunk erreichen können oder wollen. Inzwischen ist Landesbischof Dr. Johannes Friedrich zum Medienprofi geworden, auch ohne die angemessene Beachtung des Bayerischen Rundfunks. Dem Erfolg seines Wirkens hat dies keinen Abbruch getan. Dennoch bleibt die Frage, warum es bislang nicht möglich war, dem katholischen Übergewicht an medialer Darstellung auch nur annähernd Adäquates gegenüber zu stellen. Würde sich herausstellen, dass dies an dem hemmenden Einfluss von Sympathisanten des designierten Landesbischofs liegt, müsste sich die Landessynode auch bezüglich dieses Punktes die Frage stellen, ob sie nur auf Strippenzieher hereingefallen ist und in ihrer Entscheidung manipuliert wurde.

 

8. Kirchenrecht

 

Die Landessynode und der Landeskirchenrat sollten intensiv darüber nachdenken, dass die Verabschiedung von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich in der Münchner Matthäuskirche eine illegale Aktion war. Während der Entpflichtung von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich durch den stellvertretenden Vorsitzenden der Bischofskonferenz der VELKD, den Bischof für den Sprengel Schleswig und Holstein der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK) Gerhard Ulrich erhob kurz vor der Entpflichtungsformel jemand in der Münchner Matthäuskirche seine Stimme und rief: „Das ist illegal“. Mit diesem Einspruch ist kirchenrechtlich die Minimalform eines Widerspruches erfüllt, die notwendig ist, um diese Entpflichtung nicht rechtskräftig werden zu lassen. Die Entpflichtung wäre nur dann juristisch rechtmäßig erfolgt, wenn sofort geklärt worden wäre, welche Gründe den oder die Anwesende dazu bewogen hat, laut die Illegalität dieser Aktion kund zu tun. Unabhängig von diesem Einspruch muss einem scheidenden Landesbischof die Amtskette abgenommen werden, er darf sie nicht selbst abgeben. Dieses Prozedere wurde aber nicht eingehalten von Landesbischof Gerhard Ulrich.

Die Wahl von Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm als Nachfolger von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich ist ungültig, da sowohl Frau Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler wegen Meineids vor Gericht vorbestraft ist also auch Herr Oberkirchenrat Helmut Völkel wegen Falschaussage vor einem Gericht in Ansbach in eigener Sache vorbestraft sein müsste und auch Herr Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm vorbestraft sein müsste. Da keine drei wählbaren und ernennbaren Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung standen, ist die Wahl nicht gültig. Wenn aber kein Kandidat oder keine Kandidatin als Nachfolger oder Nachfolgerin gewählt wurde, dann darf der Vorgänger im Amt des Landesbischofs nicht verabschiedet werden. Diese Frage tauchte bereits bei der Nachfolgeregelung von Landesbischof Dr. Johannes Hanselmann schon einmal auf. Es kann auch nicht sein, dass man für den Fall, dass die Wahl nicht gültig ist, darauf spekuliert, dass Oberkirchenrätin Susanne Breit-Keßler als Stellvertreterin des Landesbischofs eigenverantwortlich die Leitung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern übernimmt. Denn solange Landesbischof Dr. Johannes Friedrich noch im Amt ist, und seine Amtszeit dauert bis 31. Oktober 2011, solange ist die Tätigkeit seiner Stellvertreterin an seine Beauftragung als Landesbischof gebunden. Damit "heilt" seine Beauftragung den Mangel, den Frau Regionalbischöfin Breit-Keßler aufgrund ihrer Vorstrafe hat. Da sie nicht zur Landesbischöfin gewählt hätte werden dürfen, darf sie auch nicht eigenverantwortlich die Vertretung übernehmen und dies auch nicht für eine kürzere Interimszeit, falls die Landessynode gleich auf ihrer nächsten Tagung vom 20. bis 24. November 2011 in Rosenheim einen neuen Landesbischof oder eine neue Landesbischöfin wählen würde. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, dass die Landessynode auf ihrer nächsten Herbsttragung überstürzt wieder wählt. Landesbischof Dr. Johannes Friedrich wurde am 20. Juni 1948 geboren, er geht somit zum 1. Juli 2013 mit 65 Jahren in den Ruhestand. Somit müsste die Landessynode auf ihrer Herbsttagung vom 25. bis 29. November 2012 einen Nachfolger wählen. Bis dorthin könnte sie auf ihrer Herbsttagung in Rosenheim den derzeitigen Landesbischof Dr. Johannes Friedrich interimsweise weiterhin mit der Leitung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern beauftragen. Da sich Herr Landesbischof Dr. Johannes Friedrich in außerordentlicher Weise verdient gemacht hat während der zwölf Jahre seiner Amtszeit, dürfte es für eine interimsweise Beauftragung keinerlei Hinderungsgründe geben. Die Landessynode könnte dann in aller Ruhe nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin suchen und das übliche Prozedere vor einer Bischofswahl würde eingehalten werden. Dies wäre nicht der Fall, würde die Landessynode in sechs Wochen bereits einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin wählen. Dass Landesbischof Dr. Johannes Friedrich am 9. Oktober 2011 in der Münchner Matthäuskirche und bei einem Staatsakt verabschiedet wurde, ist insofern nicht ganz korrekt, da die Nachfolgedesignierung ungültig ist. So würde er eventuell eine weitere Verabschiedung erhalten in eineinhalb Jahren, doch es gibt größere Katastrophen als zwei Verabschiedungen hintereinander. Ich hoffe sehr, dass sich die Kirchenjuristen der Landeskirche und die zuständigen Verantwortlichen in der bayerischen Staatsregierung noch ausführlich mit dieser Thematik beschäftigen und hier die rechtmäßig zutreffenden Grenzmarkierungen setzen. Kirchenrechtlich wäre  denkbar, dass der Landesbischof aufschiebenden Einspruch erhebt gegen die Wahl seines Nachfolgers. Die Argumentation liefe dann analog zu dem Fall, dass die Landessynode ein Kirchengesetz beschließt, dem der Landesbischof nicht zustimmen kann (3).  Dieser Einspruch hätte aufschiebende Wirkung (KVerf Art. 52). Die Landessynode müsste dann auf ihrer nächsten Tagung erneut beschließen. Da eine Wahl die Recht setzende Kraft von Beschlüssen übersteigt, dürfte es kein Problem geben, diesen Paragraphen anzuwenden. Weiterhin wäre denkbar, dass der Landesbischof die Landessynode auflösen könnte. Dies ist möglich für den Fall, dass die Beschlüsse das evangelisch-lutherische Bekenntnis in wesentlichen Punkten verletzen (KVerf Art. 53).  Unverzügliche Neuwahlen würden folgen. Denkbar wäre freilich auch eine Erklärung, wie sie die katholische Kirche seit 2010 auf Initiative von Papst Benedikt XVI. von neu ernannten Bischöfen und Kardinälen fordert, in der der neu einzuführende Amtsinhaber versichert, persönlich keinen sexuellen Missbrauch von Abhängigen begangen zu haben. Es ist anzunehmen, dass im Falle eines dennoch bekannt werdenden, nachgewiesenen Missbrauchs die sofortige Amtsenthebung erfolgt.  Schließlich ist es viertens möglich, dem einzuführenden Landesbischof nur "unter Vorbehalt" das Amt zu übertragen, um bei noch schwebenden Verdachtsfällen nicht mit dem Argument einer Amtsimmunität konfrontiert zu sein, wie sie beispielsweise Oberkirchenrat Helmut Völkel vertritt, wollte man die lang schon anstehenden Klärungen erst nach der Amtseinführung in gesicherte Freisprüche überführen oder müsste man tatsächlich einen Rechtsverstoß oder einen Verstoß gegen das evangelisch-lutherische Bekenntnis konstatieren. Neben diesen vier kirchenrechtlichen Möglichkeiten, sich gegen eine illegale Amtseinführung eines Landesbischofs zu versichern, gibt es ein kirchenrechtliches Problem damit, dass der scheidende Landesbischof auf eine sehr kleine Pfarrstelle versetzt wird. So schön idyllisch Bertholdsdorf im Landkreis Ansbach sein mag, ein Mann mit dem Format von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich darf auch aus besoldungsrechtlichen Gründen nicht eine so kleine Gemeinde überantwortet bekommen. Die Landessynode, die VELKD, die EKD und die bayerische Staatsregierung sollten sich intensiv mit der Rechtmäßigkeit der Nachfolge von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich befassen.

 

(1) vgl. http://www.sonntagsblatt-bayern.de/news/aktuell/2011..., 26.10.2011

(2) vgl.

http://www.bayern-evangelisch.de/www/download/Partner_in_..., 09.10.2011

(3) vgl. Grethlein Gerhard/Böttcher Hartmut/Hofmann Werner/Hübner Hans-Peter (1994): Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, München, S. 359

Elke Göß

erschienen: 9. Oktober 2011

update: 29. Oktober 2011

 

Erinnerung oder Gegenwartsbewältigung und Gegenwartsgestaltung? Eine Frage siebzig Jahre nach der Wannseekonferenz und fünfundsechzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz

Wer glaubt, dass gestern vorbei ist? Wer glaubt, dass sich Geschichte wiederholt?  Diese beiden Fragen scheinen eng zusammen zu gehören. Sie scheinen sich gar durch ihre je einzelne Beantwortung gegenseitig überflüssig werden zu lassen. Dieser Anschein verschwindet, wenn man diese Fragen an Menschen in unterschiedlichen Altersstufen in unserer Gesellschaft stellt. Beginnt man mit den heute 75- bis 85-Jährigen, so wird man einerseits die Antwort bekommen, dass seit der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942, auf der die systematische Vernichtung von Jüdinnen und Juden beschlossen wurde, eine lange Zeit vergangen ist. Zeitzeugen würden sich erinnern, dass es nach dieser zweistündigen Sitzung keinen Zweifel mehr geben konnte, wie das NS-Regime mit den noch verbliebenen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern umgehen würde und welches Vorgehen Jüdinnen und Juden in den von Deutschen eroberten Gebieten erwarten würde. Einige hatten bereits vor 1938 Deutschland verlassen. Ihr Hab und Gut, ihre Häuser und Geschäfte mußten sie zurücklassen. Oftmals konnten sie sie gerade noch unter Wert verkaufen. Andere wurden bereits vor Kriegsbeginn am 1. September 1939 ohne Ansehen der Person und ihrer Verdienste für die Gemeinden, in denen sie lebten, und für Deutschland, dem sie häufig sehr zugetan waren, vertrieben. Schleichend, unaufhaltsam, keine Gegenwehr duldend griff der Antisemitismus bereits Ende des 19. Jahrhunderts um sich. Zunächst waren es nur Verhöhnungen und Ausgrenzungen, dann kamen zu den verbalen Übergriffen handgreifliche Auseinandersetzungen hinzu. Der Lebensraum wurde eingegrenzt, berufliche Perspektiven wurden gekappt, die Siegerposen der bis dahin intellektuell und finanziell Unterlegenen wurden schon einmal eingeübt. Später dann folgte ein Triumphzug auf den anderen, denn schließlich hatte Adolf Hitler die Rolle der Arbeiter und Bauern stark hervorgehoben gegenüber den "Intellektuellen". Lange schon vor der Reichskristallnacht am 9. November 1938 verließen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger bei Tag und völlig öffentlich einsehbar ihre Heimat mit unbekanntem Ziel. In manchen Städten leerte sich innerhalb von zwei Jahren ein Haus neben dem anderen. Lange blieben die gut situierten Häuser nicht leer. Es zogen die ein, die an die neue Zeit glaubten. Sie glaubten dem Versprechen der NS-Ideologie nach einer neuen Moderne. Nicht der seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert aufgekommene Welthandel, der kulturelle Austausch mit anderen Regionen der Welt, wie ihn die Vertreter des Art Deco pflegten, war ihre Sache. Rückständig geblieben in einer Heroisierung des Bäuerlichen und der Arbeitenden, wie man sie auch in der marxistisch-leninistischen Ideologie findet, echauffierten sich Millionen Deutscher und steigerten sich in eine völkische Gesinnung hinein, die alle Lebensbereiche durchdringen sollte. Selbstverständlich gehörte es dazu, den "lieben Nachbarn" entsprechend zu bespitzeln und zu völkischem Geist anzuhalten. Dieser egalisierende Gleichheitsgedanke, der den Nächsten in dessen privatesten Lebensbereichen zu reglementieren bereit war, setzte sich unter sozialistischem Banner nach 1945 in der DDR fort. Heimische Idylle und Ausgrenzung des zum Fremden als Hassobjekt degradierten waren zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Sehnsucht nach der eigenen Idylle trieb manche zu den größten Grausamkeiten. So unverständlich ist es nicht, dass gerade die liebliche Gegend am Wannsee die passende Kulisse bildete, in der sich einige Mitglieder der innersten NS-Zirkel zum endgültigen Vernichtungsangriff gegen die schon lange ausgestossenen Hass"objekte" verbündeten.

Äußerlich, d.h. gesellschaftlich kann Menschen, die damals schon gelebt haben, nichts mehr mit dieser Zeit verbinden. Innerlich ist sie gleichsam präsent, virulent, unbearbeitet aufbewahrt und konserviert. Wer hätte schon zwischen 1942 und 1945 darüber reden können, ob man nun die Vernichtung der Jüdinnen und Juden selbst befürworten würde oder nicht? Und wer hätte allen Ernstes nach 1945 noch eine ehrliche Antwort auf diese Fragen suchen und diskutieren wollen? Stillschweigend war man sich einig im deutschen Volk. Man war nicht Täter, man war Opfer.

Erst die 1968er Generation versuchte, dieses Tabu aufzubrechen. Erst diese Generation fragte, was ihre Väter und Mütter im Krieg gemacht haben. Oft bekamen sie keine Antwort. Oft mußten sie sich von ihren eigenen Eltern und von deren autoritärer Erziehung distanzieren, um zu einer reflexiven und selbstreflexiven Haltung gegenüber ihrer Familiengeschichte und der Geschichte Deutschlands zu kommen. Diese Generation würde sagen, dass speziell dieses Gestern und gemeint ist damit die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland nie vorbei ist, dass man stets wachsam zu sein habe gegenüber den Anfängen, die immer wieder aufbrechen können im Land der Täter und Täterinnen, dass die jüdischen Opfer niemals vergessen werden dürfen, da sie von Deutschen auf grausamste Weise hinterlistig und heimtückisch ermordet wurden. Gestern darf nie vorbei sein, würde die 1968er Generation der heute 45-bis 55-Jährigen sagen und hoffen, dass ihr Kampf für eine Versöhnung mit Israel Frucht bringen möge.

Geht man noch eine Generation, also nochmals 30 Jahre, zurück zu den heute 15- bis 25-Jährigen, so ist deren Urteil zu der Frage, ob gestern Vergangenheit ist, ganz klar. Wie jede junge Generation sind sie fest der Überzeugung, dass nur ihnen die Zukunft gehört. Dieses Gefühl gibt sich dann spätestens, wenn sie auf die 30 zugehen und bemerken, dass sie sich ihre Zukunftschancen mit den anderen teilen müssen und dass nicht automatisch jede und jeder vor der jüngsten Generation in den Staub fällt oder zur Seite tritt. Diese junge Generation hat hauptsächlich ein Label, das sie favorisiert: das Internet. Schon manche technische Erfindung hat den Alltag verändert: die Erfindung des Telefons, die Erfindung des Autos, die Erfindung des Fernsehers, die Erfindung der Waschmaschine, die Erfindung des Toasters und so weiter und so fort.. In den 1970er Jahren glaubten Jugendliche an die ewige Existenz der Disco. Heute können sich Jugendliche nur noch aufgrund der Schlagerretroperspetiven annähernd vorstellen, dass man zu dieser Musik "damals" getanzt hat. Jegliche technische Neuerung in der Geschichte verblast jedoch und zerfällt im Staube, betrachtet man den rasanten Zuspruch, den das Internet in diesen Tagen zu erfahren scheint. Manche Medien, wie das ZDF, pumpen ständig nach, um die Luftblase, die das Internet umgibt, gleich groß zu halten. Jegliche Protestbewegung weltweit, jeglicher freundschaftlicher Kontakt, jegliche privat organisierte Massenparty sollte sich in "facebook" finden. Dass es eine Realität außerhalb von "facebook" gibt, bleibt allerdings viel zu offensichtlich. Für die Generation der heute 15- bis 25-Jährigen ist das Gestern des Holocausts weit weg. Jedenfalls sollte man dies annehmen, ginge man davon aus, dass sich die Geschichte fortentwickelt und sich vielleicht sogar linear in die Zukunft bewegt.

Die ältere Generation weiss, dass sich die Geschichte nicht zyklisch wiederholt. Sie kennt die historischen Umstände des Antisemitismus aus eigener Erfahrung. Sie kennt sie sehr genau. Die mittlere Generation hat immer wieder Bedenken und stimmt ein in das Mantra: "Die Geschichte des Nationalsozialismus darf sich nie wiederholen". Und die jüngste Generation weiss, dass einerseits die früheren Zeiten vorbei sind. Andererseits sind ihr die Ängste und Schwächen der damaligen Jugend nicht fremd. Ungewisse Zukunftschancen, eine hohe Skepsis gegenüber dem persönlichen Nutzen von verbrieften und traditionell erworbenen Wissensinhalten, das Gefühl der "Übervölkerung", das sich nach dem Wegfall der Mauer nach 1989 und im Zuge der immer größer werdenden Europäischen Union einstellen kann. Nicht zu vergessen der tief sitzende Zweifel, dass moralisches Verhalten zu einem besseren Leben führen wird - individuell UND gesellschaftlich gesehen.

Was es ist, das einen Zirkelschluss zwischen der ältesten Generation und den ganz Jungen möglich erscheinen läßt, läßt sich schwer beschreiben. Ist es das Bedürfnis, der 1968er Generation in die Quere kommen zu wollen, nachdem sie den Muff aus den Talaren geschüttelt hat und die elterlichen Autoritäten untergraben hat? Ist es das Gefühl, sich selbst im Alter verloren vorzukommen, fremd in der eigenen Heimat, überfordert durch den ständigen Wegfall staatlicher Aufgaben und staatlicher Reglementierungen, die Ordnung und Sicherheit gewährten und sei es nur in der ausschließlichen Zustellung der Briefe und Pakete durch die Deutsche Post? Sicher sind es unaufgearbeitete Ängste, unbearbeiteter Hass, Frustration über den niedriger werdenden Lebensstandard, obwohl man doch nach 1945 gearbeitet hat, wie es heute kaum noch jemand tut. Die sich immer weiter ausbreitende globalisierte Warenwelt bringt ständig neue Verunsicherungen mit sich. Offensichtlich ist der Rückzug in alte Ausgrenzungsmuster ein vor über 70 Jahren eingeübter Reflex.

Siebzig Jahre nach der Wannseekonferenz meinte am 20. Januar 2012 ein Kommentator, man habe geglaubt, dass sich der Antisemitismus abschwäche, je weiter man von der Zeit des Nationalsozialismus historisch entfernt sei. Dies sei offensichtlich ein Fehlschluss gewesen. Drei Tage später stellte eine Expertengruppe einen Bericht vor, den sie im Auftrag des Deutschen Bundestages angefertigt hatte. Neu ist dabei die Feststellung, dass es eine "bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und Praktiken"(1) gibt. Im Fernsehen wurde vor allem erwähnt, dass die Expertengruppe vor allem das Internet untersucht habe, in dem sich rechtsextreme Holocaust-Leugner und islamistische Agitatoren in ihrer jeweiligen Propaganda ausbreiteten.

Zwei Beobachtungen sind hierbei aufschlussreich. Zum einen sind es nur drei Zeitungen gewesen, denen der Expertenbericht "Antisemitismus in Deutschland", den man beim Bundesministerium des Innern herunterladen kann, einen Artikel auf der Titelseite ihrer Zeitung Wert war: der Münchner Merkur (2),  "neues deutschland. sozialistische Tageszeitung" (3) und die BILD-Zeitung (4). Die Liste derjenigen Zeitungen, die den Expertenbericht nicht auf ihre Titelseite hoben, ist lang: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung, "Die Welt", die Berliner Zeitung, die taz, das Handelsblatt, die Stuttgarter Zeitung, die tz, die "junge Welt", die Abendzeitung Nürnberg, die Mainpost und die NZ Nordbayerische Zeitung. Zum Zweiten gingen weder der Expertenbericht noch die Zeitungsartikel darauf ein, was der Satz bedeutet: "Etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind latent antisemitisch." (5) Feierstunden allein, wie die gestern im Deutschen Bundestag anläßlich des 65. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die amerikanischen Truppen, bei der der 91-jährige Marcel Reich-Ranicki als einer der letzten Überlebenden des Warschauer Ghettos sprach, werden nicht ausreichen. Die "Aussiedelung" der Warschauer Jüdinnen und Juden aus dem Ghetto habe nur ein Ziel gehabt, nur einen Zweck: den Tod, sagte Marcel Reich-Ranicki.

Erst vor wenigen Wochen war in Zwickau eine Terrorzelle aufgeflogen, die neun ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern den Tod gebracht hat. Der Sympathisantenkreis ist noch weitgehend unbekannt. Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger registrieren genau die latenten Animositäten bis hin zu den offenen Anfeindungen, die ihnen immer unverhohlener entgegenschlagen. Schon lange befürchten sie im Land der nationalsozialistischen Täterinnen und nationalsozialistischen Täter, dass sich deren Gesinnung nicht nur in einer latent antisemitischen Haltung zeigt, sondern dass sie bereit sind, verbal und/oder mit Gewalt gegen Nicht-Deutsche vorzugehen. Besonders makaber ist hierbei, dass auch solche Personen angegriffen werden, die seit Generationen Deutsche sind. Der neue Gesinnungsterrorismus wird nicht mehr nach der genetischen Abstammung fragen. Wer sich zu den ganz rechts angesiedelten Werten hält, gehört dazu.  Diese können natürlich nur Deutsche im vollen Umfang bejahen, wer sonst?

Bundeskanzlerin Angela Merkel schwebt derweil von Besprechung zu Besprechung im europäischen Raum, um den Euro zu retten. Unklar scheint, dass die der Globalisierung zugeschriebene Unübersichtlichkeit, die durch Privatisierungen in allen wirtschaftlichen Bereichen und durch staatliche Deregulierungen nur verschärft wird, zu einer scheinbar unzumutbaren Belastung für weite Teile der Bevölkerung wird, die sich dann in rassistische und fremdenfeindliche Ressentiments flüchten. Nicht nur durch das Schengen-Abkommen sind Grenzen gefallen und sind Grenzziehungen unklar geworden. Unklare Grenzen, unklare Zugehörigkeiten, unklare Zuständigkeiten überfordern viele Menschen. Die gemeinschaftliche "Nestwärme" fehlt. Dies scheint bei 20 Prozent der Bevölkerung so zu sein. Dies sind mehr Wählerinnen und Wähler, wie Grüne, FDP und "Die Linke" in manchen Bundesländern auf sich vereinigen können. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, der sich nicht nur in einer "Aufklärung" über die deutsche Vergangenheit erschöpfen kann, sondern der sich auch den desintegrierenden Tendenzen in unserer Gesellschaft stellen muss.

(1) "Antisemitismus ist alarmierend". Studie: Judenfeindlichkeit ist tief in der Gesellschaft verankert, in: Münchner Merkur, 24. Januar 2012, S. 1

(2) "Antisemitismus ist alarmierend". Studie: Judenfeindlichkeit ist tief in der Gesellschaft verankert, in: Münchner Merkur, 24. Januar 2012, S. 1

(3) Antisemitismus fest verwurzelt. Forschungsgruppe kritisiert fehlende Strategien gegen Judenfeindlichkeit, in: neues deutschland. sozialistische Tageszeitung, 67. Jahrgang, Nr. 20, 24. Januar 2012, S. 1

(4) Antisemitismus in erheblichem Umfang in Deutschland, in: BILD Nürnberg, 24. Januar 2012, S. 1

(5) Antisemitismus fest verwurzelt. Forschungsgruppe kritisiert fehlende Strategien gegen Judenfeindlichkeit, in: neues deutschland. sozialistische Tageszeitung, 67. Jahrgang, Nr. 20, 24. Januar 2012, S. 1


Elke Göß


update: 28. Januar 2012


 





 


Archiv 1